Deutschlandradio

„Bagdad – Erinnerungen an eine Weltstadt“

Das neue Buch von Najem Wali zwischen Nostalgie und Utopie
Eine Betrachtung von Ingo Arend 

 Der deutsch-irakische Schrifsteller Najem Wali schreibt in „Bagdad – Erinnerungen an eine Weltstadt“ über sein Aufwachsen in der Hauptstadt Iraks – bis zur Flucht nach Deutschland 1980. Und er erinnert an die vergessene Moderne des Landes, das heute mit Fanatismus und Zerstörung assoziiert wird. Beitrag anhören.

Conversatorio sobre literatura y guerra

Batallas perdidas

por Arnulfo Agüero 08/09/2015 12:00 AM
LA PRENSA – El Diario de los Nicaragüenses

Las guerras siguen siendo un tema constante en muchos escritores que han narrado sus novelas en el exilio, sostiene el periodista y escritor iraquí Najem Wali, quien mañana sostendrá un conversatorio sobre literatura y guerra con el editor alemán Lutz Kliche, en el INCH, a las 6:30 p.m.

Wali huyó del gobierno de Saddam Hussein en 1980, para entonces había cumplido el servicio militar. En estos meses inició la guerra Irak e Irán y lo quisieron volver a reclutar. Decidió falsificar documentos militares y escapar hacia Alemania Occidental, país donde realizó su protesta y a la vez sus estudios de Filología. “Los conflictos de la guerra Irak e Irán iniciaron en septiembre de 1980, duraron ocho años y dejaron dos millones de muertos y más de un millón de inválidos”, recuerda el escritor cuestionando la inutilidad de los hechos bélicos. “Esta guerra, agregó, terminó en el mismo punto que había iniciado, no hubo ganadores ni perdedores”. 

Mission accomplished

Auf der Buchmesse in San José; NW mit Ernesto Cardenal, der sich als Dichter gerne Padre nennt; NW mit Sylvie Duran Salvatierras, der Kulturministerin von Costa Rica; Straßenmusiker in San José; NW mit dem panamaischen Schriftsteller Carlos Wynter

Das Ende meiner Reise musste kommen. Viele unterschiedliche Länder, Menschen und Begegnungen, und wenn ich zurückblicke, brachte alles große Bereicherung, neue Erfahrungen und Kenntnisse. Doch der Marinero en tierra musste zurück zu seinen Liebenden, zu seinem ewigen Exil Alemanía, wo ihn in Zeiten des Zorns sicherlich neue Aufgaben und Herausforderungen und ganz bestimmt andere Reisen erwarten… Adiós, Muchachos! … Hasta la vista bei der Buchmesse Frankfurt!

Und der Betrug geht weiter…

El Día de la Independencia, San José, Costa Rica

El inganio continua, der Betrug geht weiter. Ab dem 15. Jahrhundert haben die Spanier Mittel- und Lateinamerika erobert, ausgeraubt, die Menschen dort niedergemetzelt, versklavt und gedemütigt. Wer aber denkt, dass diese Demütigung, dieser Betrug, aufgehört hat, der täuscht sich. El inganio geht weiter, der Betrug, in Form eines Feiertags: „El Día de la Independencia“, der Tag der Unabhängigkeit.

Am 15. September feiert man seit dem 19. Jahrhundert von Mexiko bis Panama diesen Unabhängigkeitstag. In Nicaragua dauert der Betrug sogar noch länger. Dort feiert man ganze fünf Tage! Als ob die Indigenen, die Urbevölkerung, sich die Macht in ihren Ländern zurück erkämpft hätten. Nichts davon! 

 Wer die Machtstruktur in diesen sogenannten befreiten Länder betrachtet, stellt fest, dass dort immer noch die weiße Rasse regiert, die Nachfahren der Europäer, der ersten Eroberer, mit überwiegend spanischer Abstammung. In allen diesen Ländern findet man mehrheitlich diese Weißen im Fernsehen, in den Regierungen und in der Wirtschaft. Das ursprüngliche Volk findet man auf dem Markt, als Straßenverkäufer, in den Metros oder in den Banden der Desperados. 

Es lebe die Dichtung!

Die Dichtung fälscht. Aber was sie stark macht ist, dass sie uns das sagt und nicht verheimlicht. Damit siegt sie immer. Die Dichtung ist die Fälschung der Fälschung, die vor unseren Augen abläuft. Alles im Leben steht auf dem Kopf. Die Dichtung stellt es richtig: Auf die Füße… Und genau dadurch geht das Leben weiter. Das sagen uns die Dichter, egal, wo sie sind und wann sie lebten. Darum beginnen meine Reisen, egal wohin, mit der Suche nach den Dichtern, nach den toten und nach den lebenden. Meine literarische Expedition durch Zentralamerika ist da nicht anders. 

Auf den Fotos mit NW: Sergio Ramírez in seinem Büro in Managua; Gioconda Belli im Cultural Center Pablo Antonio Cuadra in Managua; der salvadorianische Dichter Manlio Argueta, Direktor der Nationalbibliothek im historischen Center von San Salvador; NW alleine im Casa Museum von Rubén Darío, einem der wichtigsten Dichter Lateinamerikas. Sein Porträt hängt über NWs Kopf.

Es leben die Dichter!

UniAutonomaVor der Universität Autonoma in San Salvador steht das Denkmal des großen Dichters Roque Dalton, der Gründer der Guerilla Bewegung Farabundo Martin war, die jetzt an der Macht ist. Dalton wurde von seinen Genossen fälscherweise als CIA Agent verdächtigt und ermordet.

Café de los Poetas

Im Café de los Poetas: Das Café der Dichter liegt im historischen Viertel von San Salvador im Herz der Stadt und in einer der gefährlichsten Zonen von Zentralamerika. Trotzdem treffen sich die Dichter dort. Sie lassen sich nicht einschüchtern.

HausErnstoCardenal

Im Haus des großen nicaraguanischen Dichters Ernsto Cardenal in Managua. Leider war der neunzigjährige krank und nicht zu sprechen. Seine Skulpturen sprechen für sich.

Nicaragua Agua Fuego

Vier Tage war ich in Managua, sieben in Nicaragua insgesamt und davon zwei in León, einer Provinzhauptstadt im Nordwesten. Es war die Einladung des Goethe Instituts in Kooperation mit dem PEN-Club Nicaragua, die mich auf die Reise in diesen Teil der Welt gelockt hat, für deren Organisation ich Sven Mensing vom Goethe Institut Mexico danken möchte.

In Managua fanden in diesem Rahmen zwei große Veranstaltungen statt. Eine davon war eine Diskussionsrunde über die „Freiheit der Expression“, die Carmen Aristegui (Investigative Journalistin aus Mexico und Journalistin für CNN), Josef Haslinger (Autor und Präsident des PEN-Club Deutschland), Miguel Huezo Mixto (Schriftsteller und UNO Mitarbeiter aus El Salvador), Carlos Fernando Chomoro (Herausgeber der Pressegrupp la Prensa aus Nicaragua), Gioconda Belli (Schriftstellerin aus Nicaragua) und ich, moderiert von Lutz Kliche, bestritten. Die andere war eine Lesung im El Instituto Nicaragüense de Cultura Hispánica in Managua, bei der ich Auszüge aus der spanischen Übersetzung von „Bagdad… Marlboro“ las und diskutierte.

Und was machte der Marinero sonst in Managua?

Jamaika und die WM-Qualifikation

MitWinfriedSchäferManaguaWer hätte das gedacht? In der Lobby des Hilton Hotel Managua traf ich am 7. September Winfried Schäfer, den Coach von Jamaikas Nationalmannschaft. Ich sagte ihm, ihr werdet das Spiel morgen gewinnen. Und das kam dann auch so. Am nächsten Abend hat Jamaika gegen Nicaragua im Heimspiel 2:0 gewonnen. Das Geheimnis? Ich glaube, ich habe es gehört. Die Mannschaft wohnte in der dritten Etage, wo auch mein Zimmer 306 war. Um 17 Uhr, 2 Stunden vor dem Spiel, haben sie mich aus meiner Siesta gerissen mit ihrer lauten Musik. Nein, es war kein Reggie. Es war einfach unglaublich laute Tanzmusik!

Un país güegüense

Najem Wali on a trip through the Marshes Suhain in South of Iraq, 1977
Najem Wali on a trip through the Marshes Suhain in South of Iraq, 1977
UNO NO ESCOGE

Uno no escoge el país donde nace;
pero ama el país donde ha nacido.

Uno no escoge el tiempo para venir al mundo;
pero debe dejar huella de su tiempo.

Nadie puede evadir su responsabilidad.

Nadie puede taparse los ojos, los oídos,
enmudecer y cortarse las manos.

Todos tenemos un deber de amor que cumplir,
una historia que nacer
una meta que alcanzar.

No escogimos el momento para venir al mundo:
Ahora podemos hacer el mundo
en que nacerá y crecerá
la semilla que trajimos con nosotros.

Gioconda Belli

Something unexpected crossing borders

BorderHonduras
Border in Honduras coming from El Salvador

Last Sunday, it happened to be the 6th of September, we took the bus from San Salvador to Managua. I could not believe how easy it was to cross three borders within 2 hours. Thanks to the german passport, I admit.

 

If only more people, if only every human being could cross borders in such a nice and easy way! But I am worried that this is just the dream of a crazy marinero en tierra.

GoingToNicaragua
Walking to Nicaragua

3. September, San Salvador

Das Centro Cultural de España war gut besucht an diesem Abend. Über 90 Zuhörer waren gekommen, darunter viele Studenten, um mit Najem Wali, der Dichterin Susan Reyes und dem Übersetzer, Lektor und Literaturvermittler Lutz Kliche über das Schreiben in Zeiten des Krieges und die Macht der Literatur zu diskutieren. Es wurde ein großartiger Abend mit spannenden Gesprächen! Danke an Susan Reyes für wunderbare Organisation!

Guatemala City – First Days in Central America

Guatemala City hat mich verschluckt. Die wenigen Tage gingen ineinander über. Was war zuerst? Was kam danach? Ich weiß es nicht mehr. Gut, wir hatten Jetlag und am ersten Mittag habe ich mit drei Schriftstellern so viel Chili und anderes, unsagbar Scharfes gegessen, dass mir der Abend nicht mehr ganz erinnerlich ist.

Am nächsten Tag die ersten Schritte durch die Stadt, ein leeres Viertel, lost in the City. In der angeblich gefährlichen Zona 1 wandelten wir ohne Angst, immer wieder verharrend in herzlichen Gesprächen mit den Menschen auf der Straße. Ein andermal die Begegnung mit dem Verleger Raul Figuerroa Satri, unser gemeinsames Essen mit meinem Weggefährten Lutz Kliche im spanischen Restaurant „La Mezquita“.

NW with Guatemalan Poets and Writers after reading, Guatemala City
NW with Guatemalan Poets and Writers after reading, Guatemala City

Und die Visite in der Biblioteca National? Ein unglaublicher Schatz. Ein paar Blocks weiter Demonstrationen. Mittendrin sind wir zu einem Treffen mit guatemaltekischen Schriftstellerinnen in einer Buchhandlung verabredet. Nur mehr mildes Essen, dafür scharfe Diskussionen. Die Stadt, in der das Volk so lange protestiert hat, bis sein korrupter Präsident zurück getreten ist, saugte mich auf mit ihrem Jubel und der Hoffnung auf eine neue Politik.

1. September 2015, Guatemala City

Was für eine historische Nacht in Guatemala City!
What a Historic Night in Guatemala City!
Que Noche historica en Guatemala City!
أية ليلة تاريخية في غواتيملا سيتي

GuatemalaCity_2Sept1
1. September 2015, Guatemala City

„Egal, wo Du hingehst, passiert irgendwas Großes“, sagt die Freundin. Und immer hat sie Recht. Diesmal ist es in Guatemala City passiert. Am 1. September 2015 ist der Präsident von Guatemala vom Parlament gestürzt worden wegen Korruption, Narco Traffic und Mord. Dienstagabend sind die Leute auf die Straße gegangen, um zu feiern. Ich habe mit ihnen vor dem Republik Palast gefeiert. Was für eine historische emotionale Nacht!

“Wherever you go something great will happen.”, says the girlfriend. All the time she is right. This time it happened in Guatemala City. The President of Guatemala was thrown out by the Parliament on September 1st accusing him of corruption, narcotraffic and assignation. On the evening of this historic first September the people went on the street to celebrate. I shared with them the moments in the main Place front of the Republic Palace. What a historical emotional night!

Guatemala City on September 1st, 2015
Guatemala City on September 1st, 2015

“Igual a dondete vayes se succedia algo grande”, dijo la compañera. Siempre tiene razón. Está vec se ha succido en Guatemala City. El Presidente de Guatemala se ha caido por el parlamento en 1 September 2015 acusado de corruption y Trafico de droga y assino. La jente salió a la calle celebranod el asunto. Yo celebré con illos frente del Palacio de la republica. Que noche hostorica y emotional.

أينما ذهبت، يحدث حدث كبير، تقول الصديقة. دائماً هي على حق. هذه المرة حدث في غواتيمالا سيتي. رئيس غواتيملا سقط بعد تصويت البرلمان برفع الحصانة عنه وتقديمه للمحكمة بتهمة الفساد والرشوة وتجارة المخدرات والتقل. الناس خرجت للشارع مبتهجة في يوم الثلاثاء الماضي. أحتفلت معهم في الليل أمام القصر الجمهوري.

Marinero en tierra

El Salvador_1 Najem Wali ist im September auf literarischer Expedition durch Zentralamerika. Sergio Ramírez, Gioconda Belli, Francisco Goldman, Vanessa Nuñez Handal, Óscar Castillo Rojas, Fernando Contreras Castro und andere, haben angekündigt seinen Weg zu kreuzen.

Najem, der Marinero en tierra, meldet sich demnächst mit Erzählungen aus Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama.

nordwest radio

 „Bagdad -Erinnerungen an eine Weltstadt“

Das jüngstes Buch von Najem Wali ist soeben erschienen. Ein Untergangstitel – und einer, in dem ein endgültiger Verlust mitschwingt. Aber mitten im Chaos und in den Untergangszenarien sorgen Walis Erinnerungen dafür, dass wir die orientalische Metropole vergangenen Tage noch einmal mit allen fünf Sinnen aufnehmen können. Ein schrecklich-schönes Leseerlebnis – meint Katrin Krämer am Sonntag, 23. August 2015. Beitrag anhören.

Das Verbrechen heißt Ignoranz

Rede anlässlich der Verleihung des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2014

von Najem Wali
veröffentlich in DIE PRESSE, 13. März 2015

Der Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch ist der erste bedeutende Preis überhaupt, der mir verliehen wird. Er kommt zu einem Zeitpunkt, über den ich mich mit all seinen Implikationen und zufälligen Überschneidungen für mich nur freuen kann, gerade als Autor, der nur ungern ein Notizbuch mit sich herumträgt. Mein kreatives Credo lautet nämlich: Was das Gedächtnis nicht aufbewahrt, taugt nicht, erzählt zu werden! Und ich brauche auch wirklich nur einmal den Startknopf meines Gedächtnisses zu drücken, schon sprudeln die Geschichten wie aus einem Wasserhahn hervor – weniger, um den Durst nach einem Wiederauflebenlassen vergangener Erinnerungen zu stillen, die wie süße Qualen auf meinem Herzen lasteten, wie bei jemandem, der sich im heißesten Sommer an kühlem Wasser labt, sondern weil es mir Freude bereitet, mein Vergnügen am Erzählen mit der Welt zu teilen, es ist ein Ausdruck von Großherzigkeit, wie das Erzählen überhaupt. Sehen wir uns doch nur einmal an, wie Liebende sich gerade in den Tagen der ersten Verliebtheit mit süßen Wasserströmen übergießen, die sich einen Weg in ihre Herzen bahnen. Und wer erzählt, wird zwangsläufig auch erkennen, wo sich seine Geschichte mit denen der anderen überschneidet. Viele Zufälle. Obwohl es laut RobertMusil ja keine Zufälle gibt, sondern nur eine Menge sich begegnender Möglichkeiten. Oder, um mit Ingeborg Bachmann zu fragen: „Wann begegnen sich unsere beiden Geschichten?“

Najem Wali: „Ohne Rilke wäre ich heute wohl tot“

NajemMitHut

08.03.2015 | 18:33 | von Anne-Catherine Simon (Die Presse)

Die Presse: Sie kommen aus einer kleinen irakischen Stadt, haben in Bagdad deutsche Literatur studiert und leben seit Langem in Deutschland. Was hat Sie im Irak zur deutschen Literatur gebracht?

Najem Wali: Eine Geschichte war wichtig für mich. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war und eine Leseratte, habe ich in der kleinen Buchhandlung unserer Stadt ein Büchlein gesehen und es durchgeblättert. Es waren Gedichte, und sie haben mir so gefallen, dass ich mein ganzes weniges Taschengeld dafür ausgegeben habe. Zu Hause las ich von vorn bis hinten, von hinten nach vorn, und später erst habe ich geschaut, wie der Autor heißt – es waren übersetzte Gedichte von Rainer Maria Rilke. So kam meine Beziehung zur deutschen Literatur! Ich dachte: Diese Gedichte sind so schön, die möchte ich einmal im Original lesen. 

Najem Wali: „Ich schreibe immer aus der Erinnerung“

In seinem Roman «Bagdad Marlboro» erzählt der irakische Schriftsteller Najem Wali von einem Land im Krieg. Heute erhält der zurzeit in der Villa Sträuli lebende Autor in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch. Wie schreibt man aus der Distanz des Exils so einen Roman?

Als 1980 der Iran-Irak-Krieg begann, entzog sich Najem Wali der Einberufung in die Armee und floh nach Deutschland. Auf Desertion stand unter Saddam Hussein die Todesstrafe: Bis zu dessen Ende 2003 durfte Wali seine Heimat, in der bis heute seine Eltern leben, nur noch heimlich besuchen. In Hamburg und Madrid studierte er dar­auf deutsche und spanische Literatur. Heute ist der Autor, der 1956 in Basra geboren wurde, in Europa eine der bekanntesten Stimmen der arabischen Welt.

Als Journalist schreibt er nicht nur für die im Libanon erscheinende arabische Tageszeitung «Al-Hayat», er meldet sich auch regelmässig in den grossen deutschsprachigen Zeitungen zu Wort. So berichtete er etwa im ­Januar in der «Neuen Zürcher Zeitung» über die arabischen ­Reaktionen auf das Attentat in Paris. Seine Bücher erscheinen im Hanser-Verlag. Für das jüngste, den vor einem Jahr erschienenen Anti­kriegsroman «Bagdad Marlboro», erhält Wali heute in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch. Zum Artikel

Vom Glück, den Krieg überlebt zu haben

Hamburger Abendblatt, 6. Februar 2015

Hamburg. Der irakische Schriftsteller Najem Wali stellt seinen aktuellen Roman „Bagdad Marlboro“ anlässlich der Lessingtage im Nachtasyl vor. Dabei treibt ein schlechtes Gewissen den Autor zum Schreiben an.

Irgendwann erzählte der Mann, dieser Mann mit jener eindrucksvollen Vita, von seiner Schwester. Der Schriftsteller Najem Wali hat die Schwester, eine von fünf, aus Bagdad nach Deutschland geholt. Es war gleichsam eine Flucht aus dem Irak, das chronisch instabile Land hatte auch er selbst schon Jahrzehnte vorher verlassen. Die Schwester, eine Arzthelferin, lebt jetzt in Dresden. Zurzeit will sie wieder fliehen.

„Wegen Pegida“, erklärte Wali – und lachte.

„Charlie Hebdo“ aus arabischer Sicht

Empörung – über wen?

von NAJEM WALI
Neue Zürcher Zeitung, 22. Januar 2015

Die arabische Presse befasst sich einlässlich mit den Pariser Attentaten. Aber nur wenige Stimmen verurteilen die Anschläge vorbehaltlos oder pochen gar auf eine Mitverantwortung der arabischen Welt.

«Das Problem, das sich nach der Ermordung der Mitarbeiter von ‹Charlie Hebdo› in erster Linie den Staaten Europas, in zweiter aber auch uns Arabern stellt, ist nicht neu. Es hat mittlerweile mehr als ein halbes Jahrhundert im Hintergrund des Schauplatzes gelauert, auf dem sich die Beziehung Europas mit seinen südlichen Nachbarn konstituiert.» So beginnt der liberale kuwaitische Autor Muhammad al-Ramihi einen Artikel, der unter dem Titel «Nach ‹Charlie Hebdo› – und vorher» am 17. Januar in der Zeitung «Al-Sharq al-Awsat» erschien. Jenes Problem steht seiner Meinung nach in direktem Zusammenhang mit einer anderen Frage: Anerkennt Europa den Islam als Religion, sieht es die hier lebenden Muslime als Teil eines modernen Europa, das zur Koexistenz verpflichtet, oder nicht?

Immer ein «aber»
Al-Ramihi ist nicht der Einzige, der den Ball solchermassen Europa zuspielt – in einem Fall, wo es immerhin um die kaltblütige Ermordung von 17 Menschen geht, die den Brüdern Kouachi und ihrem Verbündeten Amedy Coulibaly zum Opfer fielen.

Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2014

Najem Wali erhält Hauptpreis

Börsenblatt, 2. Januar 2015
Der im Irak geborene und in Berlin lebende Autor Najem Wali erhält den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2014 − für seinen Roman „Bagdad… Marlboro“ (Hanser). Die mit 7.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Frühjahr in Wien überreicht.

Najem Wali thematisiere in seinem Roman „Bagdad Marlboro“ die nationalen Traumata der kriegsgeschädigten Iraker und erzähle die Geschichte zweier Soldaten, die zum Töten gezwungen werden und einen Weg der Läuterung suchen, so die Jury. Dabei strebe der Roman mit seiner doppelten Perspektive − aus irakischer und amerikanischer Sicht − nach einer ausgewogenen Betrachtung der Vorgänge im Irak.

Der Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch wird jedes Jahr vom Karl-Renner-Institut in Kooperation mit der sozialdemokratischen Bildungsorganisation verliehen. Mit diesem Preis wird im Sinne des Lebenswerks Bruno Kreiskys „politische Literatur geehrt und gefördert, die für Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz, Kampf gegen Rechtsextremismus und für die Freiheit der Kunst einsteht“, heißt es auf der Website des Renner-Instituts. Neben dem Hauptpreis werden auch Preise für ein publizistisches Gesamtwerk, Anerkennungspreise und ein Verlagspreis vergeben.
Zum Artikel

SWR2 – Forum

Sind Diktatoren das kleinere Übel für die arabische Welt?

Sehnsucht nach der starken Hand. Gesprächsleitung: Martin Durm
Es diskutieren: Bernd Erbel – Botschafter a.D. in Kairo, Bagdad, Teheran, Prof. Dr. Michael Stürmer – Historiker und Chefkorrespondent der „Welt“, Berlin, Najem Wali – irakischer Schriftsteller und Journalist
17.07.2014 | 41:58 Min. | Quelle: SWR

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Der irakische Sisyphos

Najem Wali über den Vormarsch des Isis im Irak

Der Schriftsteller Najem Wali hat seine Heimat Irak unlängst besucht und registrierte mit Freude eine Renaissance des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Ist die kurze Blütezeit schon am Ende?
Neue Zürcher Zeitung, 26. Juni 2014

Wer Bagdad im Frühling 2014 besucht hat, mag dasselbe gedacht haben wie ich: Die Stadt ist dabei, sich ihre Lebensfreude Stück für Stück zurückzuerobern. Bis im vergangenen April, als ich Bagdad für eine Lesung besuchte, hätte ich mir schwerlich vorstellen können, dass man im Herzen der Stadt, und obendrein im Freien, eine Kulturveranstaltung abhalten könnte, bei der sich über 500 Menschen drängten. Wer hätte das erwartet? Auch auf die Strassen und Märkte war das Leben zurückgekehrt – und das trotz der Gewalt, welche die irakische Hauptstadt nach wie vor heimsuchte. Laut der Statistik der Uno-Mission für den Irak hatten Terroranschläge allein im Februar im Land 703 Todesopfer und 381 Verletzte gefordert, und Bagdad war von solchen Untaten in überdurchschnittlichem Mass betroffen.

Kleine Paradiese
Und dennoch: Die Bewohner hatten es satt, immer nur zu Hause zu sitzen – ganz besonders die Jungen. Ausgehen, flanieren, das war endlich wieder an der Tagesordnung.

„Diktatoren sind wie Frankenstein. Am Ende bleibt ihr Labor zurück.“

Najem Wali erzählt in seinem Roman «Bagdad Marlboro», was die Kriege im Irak mit den Menschen angerichtet haben. Ein Gespräch über den Patriotismus als Droge, das Erstarken religiöser Gruppen – und das Erzählen als Überlebenshilfe.
Geführt von Ruth Renée Reif
Erschienen in der WOZ – Die Wochenzeitung, Zürich, Nr. 25/2014 vom 19.06.2014

WOZ: Herr Wali, Sie sind vor kurzem von einer Lesereise mit «Bagdad Marlboro», Ihrem neuen Roman, aus Bagdad zurück nach Berlin gekommen. Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Ihrer Heimat zu leben? 
Najem Wali: Ob ich für immer zurückkehren möchte, weiss ich nicht. Aber nach dieser Reise würde ich gerne einige Zeit da leben. So viele junge Menschen kannten meine Bücher und jubelten mir zu. Und trotz der Gefahr von Autobomben in den Peripherien Bagdads kamen sie aus ihren Stadtteilen, um an meiner Lesung teilzunehmen und mich zu treffen. Das war sehr berührend.

Die Originalausgabe Ihres Romans «Bagdad Marlboro» erschien in Beirut. Ist sie im Irak erhältlich? 
Mein Roman kann im Irak gelesen werden, auch wenn er Kritik an den Machthabern enthält. Er wird sogar rezensiert. Die Regierungszeitungen kritisieren ihn natürlich und nennen mich einen Verräter. Diese Schreiber gehören zur alten Garde. Sie haben die Uniformen von Saddam Hussein gegen die religiösen Gewänder getauscht. 

Najem Wali: „Was ändert ein Schlag aus der Luft am Boden?“

„Man kann Isis nur bekämpfen, indem man die Menschen wieder für sich gewinnt“, sagt Najem Wali.
Ein Interview von Michael Hesse
Frankfurter Rundschau, 22. Juni 2014

Der Schriftsteller Najem Wali spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über die verzweifelte Lage im Irak, die fatale Rolle Saudi-Arabiens und die aus seiner Sicht einzige Lösung: eine breite Koalition.

Herr Wali, im Irak tobt der Aufstand. Handelt es sich um einen sunnitischen Aufstand oder ist es nur die Terrorgruppe Isis, die für Unruhe sorgt?
Das ist gemischt. Es ist eine Aktion der Terrorgruppe Isis, verbunden mit den Alt-Baathisten und Anhängern des früheren Stellvertreters von Saddam Hussein, Isset al-Duri, auf dessen Kopf die Amerikaner 20 Millionen Dollar ausgesetzt haben. Die Ernennung der Gouverneure von Mossul und Tikrit zeigt seine Handschrift, es sind alte Offiziere von Saddam. Es gibt das Bündnis. Das gibt es, weil es eine große Unzufriedenheit der sunnitischen Bevölkerung in allen sunnitischen Städten gibt. Auch wenn sie nicht mit der Isis-Ideologie einverstanden sind, sehen sie doch nicht ein, warum sie gegen sie kämpfen sollen. Weil sie sich von der Regierung im Stich gelassen fühlen. Isis und Baathisten fischen dort, wo es Unzufriedenheit gibt.