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Der zweigeteilte Schriftsteller

„Ein Wort oder ein Satz muss duften wie frisches Brot“, sagte der deutsch-irakische Schriftsteller Najem Wali im Deutschlandfunk.

Von Sigrid Brinkmann
Deutschlandfunk, 23. Oktober 2015

Der deutsch-irakische Schriftsteller Najem Wali am Landwehr-Kanal in Berlin. (imago/stock&people) 

Najem Wali am Landwehr-Kanal in Berlin. (imago/stock&people)

Zweigeteilt fühlt sich der Schriftsteller: Ein Najem lebt in Berlin, der andere bleibt auf immer in Bagdad und wird nicht müde, von der Stadt seiner ersten unbändigen Sehnsucht zu erzählen. „Kolumbus entdeckte Amerika, ich Bagdad“ notiert der in Amâra, im Süden des Landes geborene Autor und nimmt den Leser von der ersten Seite an mit auf eine fantastische, lehrreiche und bisweilen melancholisch stimmende Entdeckungsreise – getragen von diesem einen Gefühl, dass Najem Wali klar benennt.

„Meine Liebe zu Bagdad hat mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben, um den Menschen zu zeigen, wie schön diese Stadt war – die Stadt der Bücher, die Stadt der schönen Frauen mit Miniröcken, wer könnte das glauben? Selbst die jungen Leute im Irak, meine Neffen, wenn sie die Fotos sehen, das ist für sie wie Science-Fiction und sie denken, der Onkel hat eine Montage gemacht.“

Zwischen Sachbuch und Künstlerroman
Najem Wali beschwört den verlorenen Geist und das Flair der kosmopolitischen Weltstadt. Das mit vielen privaten Fotografien und alten Postkarten versehene und mit immenser Detailkenntnis geschriebene Werk hat die Qualitäten eines erzählenden Sachbuches, und doch kann man es ebenso gut als autobiographischen Künstlerroman lesen.„Um eine Stadt zu bauen“, davon ist Wali überzeugt, „braucht es keine Pfeiler, sondern Ereignisse“. Zärtlich und humorvoll ruft der Autor seine ersten Schritte durch die Gassen und auf den breiten Boulevards der Hauptstadt wach, ein Sechsjähriger an der Hand des Vaters.Ein Jahr später wurde der erste Ministerpräsident der Republik Irak erschossen und sein Leichnam zur Schau gestellt. 5000 Iraker starben während des zwei Tage dauernden Putsches in der Hauptstadt. Fortan musste das Kind Bagdad in seinen Phantasien vor dem Untergang retten.

„Vielleicht hat es damit zu tun, mit dem Trauma, das ich erlebt habe, als mein Vater aus Bagdad kam – das war am 9. Februar 1963 – und sagte: „Bagdad ist zerstört“, weil er mit aller Mühe die Stadt verlassen konnte und weil die Panzer auf die Straße rollten. Das war der erste Putsch der Baath-Partei gegen Qasim damals. Das imaginäre Bild ist zerstört, und das ist eine Gegenmaßnahme von mir – als Kampf.“

Bildungshungrig, unverfroren und nicht einzuschüchtern
In einem von sozialistischen Nationalisten regierten Land bestand allenfalls in Bagdad die Hoffnung darauf, sich als Individuum voll entfalten und behaupten zu können. Auch frei zu lieben. Bildungshungrig, unverfroren und nicht einzuschüchtern muss sich Wali als Student in den sozialen Milieus und dem ständig wachsenden urbanen Geflecht der ersten rund gebauten Metropole der arabischen Welt bewegt haben. Die Weigerung, in die zunehmend Gesinnungsterror ausübende Baath-Partei einzutreten, erwies sich als lebensrettend. Nachträglich besehen war der Preis, den er für einen Studienplatzverzicht zu zahlen hatte, ein geringer, und so ist dieses Kapitel eine Art Lehrstück: Schriftsteller wäre der zum Einzelgängertum gezwungene Wali ohne das „Nein“ nicht geworden.

In den Fluss seiner Erzählung eingewoben hat er brilliante kulturgeschichtliche Kapitel und Elogen auf Dichter aus frühislamischer Zeit ebenso wie auf zeitgenössische Schriftsteller, deren Literatur das „unlösbare Siegel“ der Stadt trägt. Die Wirkkraft des 840 n. Chr. gegründeten „Hauses der Weisheit“ wird beschworen und das Abbrennen und Plündern dieser ersten Universität der Geschichte bedauert. Heute hat ein Forschungsinstitut seinen Sitz auf dem ursprünglichen Gelände, doch werden dort weder Übersetzungen angefertigt noch ernst zu nehmende Studien betrieben. Najem Wali neigt in keinem Moment zum nostalgischen Lamento, denn Strahlkraft besitzen auch Gebäude, die Mitte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von Pionieren der Architektur für Bagdad gezeichnet wurden. Das waren:

(….) Frank Lloyd Wright, der auf der Insel Umm al Chanasîr die Oper von Bagdad baute, oder der Deutsche Walter Gropius, der in Dschadirîja die Universität von Bagdad entwarf; der Finne Alvaro Aalto, der die Hauptpost schuf, der Französisch-Schweizer Le Corbusier, der die Sportstadt anlegte, oder der Italiener Gio Ponti, der den Palast für den Planungsrat am Tigrisufer neben der Brücke der Befreiung im Süden errichtete (…)

Mit 300 Dollar und 3 Büchern ins Exil
Am 28. Oktober 1980 hat Najem Wali Bagdad im Bus verlassen. Er wusste, dass sein Jahrgang zum Krieg gegen Iran einberufen und er an der Front wohl kaum überleben würde. Acht Monate zuvor war er – Student, Rekrut, verheiratet mit einer Kommunistin und Autor von Erzählungen – inhaftiert und gefoltert worden. Der Weg ins Exil begann mit nichts als 300 Dollar und drei Büchern. Während der 23 Jahre dauernden Trennung von Bagdad hat Najem Wali in Hamburg, Madrid und Berlin Romane geschrieben, die in der glorreichen und geschundenen Stadt spielen. Mit den „Erinnerungen an eine Weltstadt“ geht er als Autor neue Wege. Er mischt die heiteren Reminiszenzen an Buchläden, Clubs, Schriftstellercafés und geheime Liebesorte mit politischen Reflexionen und Rekursen auf die reiche Geistesgeschichte des Zweistromlandes, doch den Faden spinnt das eigene gelebte Leben. Vielleicht ist dieses ambitionierte Buch so leicht wie genial, weil Najem Wali nie daran dachte, seine arabische Muttersprache aufzugeben und er sich als Schriftsteller an der Fingerfertigkeit seiner Großmutter orientiert: Sie war Bäckerin und ihr Brot so begehrt, dass die Regale morgens um acht schon leer gekauft waren.

„Nachts haben wir zusammen in einem Zimmer geschlafen, mein  Großvater und sie und ich. Und sie hat die ganze Nacht nur gebacken und geraucht und erzählt. Und während ich im Bett las, habe ich ihr auch zugehört. Ich habe ihre Bewegungen beobachtet, wie sie den Teig geknetet hat. Und jetzt kann ich sagen, ich muss das Wort kneten, wie meine Großmutter den Teig geknetet hat. Ein Wort oder ein Satz muss duften wie frisches Brot.“

Najem Wali: „Bagdad. Erinnerungen an eine Weltstadt“
Roman, aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich,
Hanser 2015, 416 Seiten, 26,00 Euro.