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„Für die Mädchen an der Uni war ich Omar Sharif“

Als junger Mann floh der Schriftsteller Najem Wali aus dem Irak. Das gelang ihm nur durch eine List.

Ein Interview von Ijoma Mangold

ZEITmagazin: Herr Wali, Sie sind 1980 aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie sich als Ausländer hier gefühlt?
Najem Wali: Natürlich gab es am Anfang Pöbeleien und Ablehnung auf der Straße. Aber damals war das alles nicht so zugespitzt wie heute. Und für die Mädchen an der Uni war ich Omar Sharif. Heute assoziiert man mit einem Araber das Bild von Bin Laden.
ZEITmagazin: Warum haben Sie den Irak verlassen?Wali: Am 22. September 1980 begann der iranisch-irakische Krieg. Mein Jahrgang sollte eingezogen werden. Ich wusste: Das würde mein Tod sein.
ZEITmagazin: Und dann haben Sie in Deutschland Asyl beantragt?
Wali: Das war nicht so einfach. Meine ersten beiden Asylanträge wurden abgelehnt. Damals war man im Westen der Meinung: Saddam Hussein ist ein Demokrat.
ZEITmagazin: Wie begründeten Sie Ihren Asylantrag? Dass Sie als Deserteur im Irak der Tod erwarte?
Wali: Nein, das zählte nicht. Selbst deutsche Fahnenflüchtige der Nazizeit wurden erst 1998 rehabilitiert. Ich musste über meine politische Tätigkeit reden. Ich hatte in Bagdad als Schriftsteller und Journalist gearbeitet, und das war eine sehr politische Tätigkeit, die mich im Irak bereits ins Gefängnis gebracht hatte. Das musste ich dem Richter glaubwürdig nahebringen. Zum Glück gab es von mir schon Texte in deutschen Anthologien. Eines der Bücher hatte der Richter in meinem letzten Verfahren 1984 vor sich liegen, er hat daraus zitiert und war dadurch überzeugt, dass ich ein politischer Mensch bin.
ZEITmagazin: Als der Krieg begann, waren Sie 23 Jahre alt. Wie gelang Ihnen die Flucht?
Wali: Mein zweijähriger Militärdienst war gerade zu Ende gegangen. Ich hatte mich entschieden, das Land über die türkische Grenze zu verlassen, als mein Jahrgang, 1956, einberufen wurde. Das war drei Wochen nach Beginn des Krieges. Ich hatte gehört, dass nur ein Teil des Jahrgangs eingezogen würde. Im Militärbüro war eine riesige Schlange von Rekruten. Durch Zufall entdeckte ich einen jungen Mann, den ich kannte. Ich sagte ihm, ich würde im Kaffeehaus gegenüber auf ihn warten. Meine Hoffnung war, dass er nicht eingezogen würde und ich die Bestätigung aus seinem Soldbuch in meines übertragen könnte. Damals gab es ja noch keine Computer, es wurde alles handschriftlich in dieses kleine rote Buch eingetragen. Ich wusste, man würde jemanden des Jahrgangs 1956 an der Grenze zur Türkei nur durchlassen, wenn aus dessen Soldbuch hervorginge, dass er nicht eingezogen worden war.
ZEITmagazin: Und – klappte es?
Wali: Der Bekannte kam aus dem Militärbüro und zeigte mir strahlend sein Buch: Er war nicht eingezogen worden. Da fing ich an, ihm Geschichten über Amara, wo ich herkomme, zu erzählen. Er war zwar in Amara geboren, aber dort nicht aufgewachsen. Ich erzählte ihm eine Geschichte nach der anderen. Er war davon so betäubt, dass er sein Soldbuch liegen ließ, als er ging. Ich habe in Ruhe den Text abgeschrieben und die Unterschrift gefälscht, erst dann habe ich ihm sein Soldbuch gebracht.
ZEITmagazin: So einfach ging das?
Wali: In den Militärbüros ging es nach Ausbruch des Krieges drunter und drüber, man war schlicht überfordert. In der Provinz waren sie ohnehin schlecht ausgerüstet. Mein Glück war, dass sie mein Soldbuch nicht stempeln konnten, so brauchte ich nur die Unterschrift zu fälschen.
ZEITmagazin: Und dieser gefälschte Text im Buch hat Sie später gerettet?
Wali: Am 28. Oktober 1980 bin ich mit dem Soldbuch im Bus zur türkischen Grenze gefahren. Als die Beamten in meinem Pass meinen Jahrgang sahen, führten sie mich zu ihrem Major. Der sagte: Willst du uns verarschen? Dein Jahrgang kämpft an der Front, und du machst dich aus dem Staub. Ich sagte: Herr Major, man hat meine Einberufung verschoben, schauen Sie in mein Soldbuch. Der Major war verlegen, stotterte herum, dann sagte er: Warte. Nach drei Stunden wurde ich wieder in sein Büro gerufen. Er sagte: Ich lasse dich fahren, aber du musst zurückkommen, wenn du einberufen wirst. Ich sagte: Natürlich, es geht ja um unsere Heimat! Er sagte: Schon gut, quatsch nicht rum! Er war frustriert. Meine Vermutung: Er hat in diesen drei Stunden versucht, mit dem Militärbüro zu telefonieren, aber wegen des Kriegs waren alle Leitungen belegt. Irgendwann bekam er wohl jemanden an die Strippe, der ihm zumindest bestätigte, dass ein Teil meines Jahrgangs vorerst zurückgestellt sei. Den Irak habe ich erst wieder nach Saddams Tod betreten.

Das Gespräch führte Ijoma Mangold. Er gehört neben der Fotografin Herlinde Koelbl, dem Psychologen Louis Lewitan, Evelyn Finger und Anna Kemper zu den Interviewern unserer Gesprächsreihe.
ZEITMAGAZIN NR. 25/2016 28. JUNI 2016