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„Ich ein Schläfer? Zum Lachen“

Najem Wali über die veränderte Welt nach 9/11, wahre Freunde, sein Rendezvous mit einer Autobombe und den arabischen Frühling.

Zehn Jahre nach 9/11. Das Interview führte Andreas Fanizadeh.
Die Tageszeitung, 11. September 2011

Eine kleine Wohnung in Berlin-Kreuzberg, Najem Walis Schreibstube. Ein gerahmtes Foto an der Wand: Wali, der irakische Exilschriftsteller im Gespräch mit Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Ein anderes Bild zeigt ihn zusammen mit Günter Grass. Wali lebt seit seiner Flucht aus dem Irak 1980 in Hamburg, seit 2004 in Berlin. Er ist Hanser-Autor, schreibt auf Arabisch, spricht fließend Deutsch.

taz: Herr Wali, wenn Sie zurückschauen, was dachten Sie damals, als Sie die Nachricht vom Angriff auf die Twin Towers und das Pentagon im September 2001 erreichten?

Najem Wali: Also zunächst konnte ich das kaum glauben. Ich lebte damals in Hamburg. Ich ging durch die Eppendorfer Landstraße und wollte etwas kaufen. Zwei Leute unterhielten sich in einem Laden. Einer fragte den anderen: Hast du gesehen, wie die Flugzeuge in die Twin Towers hineingestürzt sind? Das waren zwei Deutsche. Die taten ganz cool.

Was taten Sie dann?Als ich kapierte, worum es ging, hab ich zu Hause meine Frau angerufen. Wir lebten zusammen in Hamburg. Sie saß vor dem Fernseher und hat geweint. Sie ist Irakerin. Sie war völlig außer sich, konnte es nicht fassen. Ich bin sofort nach Hause.

Was dachten Sie, als Sie realisierten, was da in den USA geschehen war?
Die Nachrichten gingen rasch in Richtung al-Qaida. Die US-Polizei verhaftete irgendwelche Leute, die in irgendwelchen Vorortzügen unterwegs waren und die für sie arabisch oder muslimisch aussahen. Ein völliger Witz. Das Land schien überrumpelt.

Sie lebten in Hamburg, der Stadt, in der sich ein Teil der Attentäter von 9/11 sammelten. Hatten Sie als exilierter Araber, als Iraker das Gefühl, dass sich in der Folge auch Ihr Leben, die Wahrnehmung Ihrer Person in Europa veränderte?
Einiges hat sich geändert. Mir waren solche Milieus wie um die Al-Kuds-Moschee bekannt. Ich kannte diese Leute nicht persönlich, aber wir kannten ihre Einstellungen. Ich war von November 1980 an in Hamburg. Habe hier Germanistik studiert, als Kurier und Taxifahrer gearbeitet. Ich kenne Hamburg-Harburg, die Technische Universität. Und ich kannte diese Sorte Menschen und habe unter ihnen gelitten.

Was meinen Sie damit?
In Hamburg lebten einige, die gegen den Kommunismus in Afghanistan als Mudschaheddin gekämpft haben. Mir war klar, was das für Typen waren. Und umgekehrt wussten die, dass wir Linke und Liberale sind. Wir konnten uns gegenseitig erkennen und nicht ausstehen. Aber die westlichen Behörden sahen sie nicht als Gefahr und ignorierten das. Waren ja auch frühere Verbündete. Oppositionelle Iraker hatten Riesenprobleme, Asyl zu bekommen, bei den (Ex-)Mudschaheddin schien mir das nicht so. Die wurden durchgewinkt.

Hatten Sie Zusammenstöße mit den Islamisten?
Nicht direkt, wir gingen uns aus dem Weg. Aber nach 2001 und 2003 wurde ich von diesen Leuten auf offener Straße angepöbelt, da ich gegen sie in Talkshows im Fernsehen sprach. Sie regten sich auch später sehr auf, weil ich Saddam angriff. Und sie schimpften dauernd auf den Westen. Feindschaften habe ich auch bei meiner kurzen Tätigkeit 2004 in der Arabischen Abteilung der Deutschen Welle erfahren. Aber bei allem was wir den Islamisten Furchtbares zutrauten, keiner von uns rechnete mit einer Aktion wie 9/11. Obwohl es die beiden Al-Qaida-Attentate mit Hunderten von Toten in Nairobi und Daressalam schon gab und auch in den 90ern den Versuch, das World Trade Center in die Luft zu sprengen. So etwas wie 9/11 konnten wir uns nicht vorstellen.

Und Ihre deutsche Umgebung: Wie reagierte die auf Sie, den exilierten Araber, nach 9/11?
Ich erlebte auch Tragikomödien. Mit Leuten, die man für Freunde gehalten hatte. Die Presse warnte ja vor den angeblich integrierten Muslimen, die aber in Wirklichkeit „Schläfer“ seien. Ich hatte einen kommunistischen Freund, Peter. Der hatte auf einmal die fixe Idee, ich wäre ein Schläfer. Das war zum Lachen. Er wollte wissen, ob ich auch von der Rasterfahndung erfasst worden und überprüft worden sei. Nein, das war ich nicht. Und daraus schloss er, dass etwas mit mir nicht in Ordnung wäre. Eine Verschwörungstheorie, da kann man nichts machen. Wir kannten uns lange, waren zusammen auf Demos. Oder jemand anders, der wollte mir einen Autoparkplatz wegschnappen. Und der sagte, ich solle ruhig sein und mich hier nicht breitmachen. Ich wisse schon, worum es gehe. Oder auf dem Flughafen: Da guckten die Leute schon genau, welche Sprache ich spreche. Das sind halt solche Reaktionen. Die Leute schauen genau, ob ich Alkohol trinke oder Schweinefleisch esse. Beides tue ich und hab ich auch schon im Irak getan. Aber die Dummheit hat lange Beine, auch wenn sich vieles mittlerweile wieder etwas gelegt hat. Wir hatten ja auch bislang keinen größeren Anschlag hier.

Glücklicherweise.
Ich glaube, das hat weniger mit Glück zu tun, als damit, dass viele dieser Leute Sympathien für die deutsche Vergangenheit haben. Außerdem wollen sie sich in Deutschland weiterhin ungestört bewegen können.

Sie halten Kontakt zu Ihrer Familie in Irak, was hat die damals zu 9/11 gesagt?
Wir telefonierten, aber man konnte unter Saddam nicht frei sprechen. Saddam feierte den Anschlag, und viele Iraker machten wie immer mit. Meine Eltern gehörten nicht zum Regierungslager und hatten genug meinetwegen zu leiden, was ich aber erst später erfuhr.

Nach Afghanistan folgte im März 2003 der Angriff auf das Regime Saddams im Irak. Sie stammen aus Amara und waren 1980 den Schergen des Diktators nur knapp entkommen. Was dachten Sie damals?
Das war ein sehr gemischtes Gefühl. Ich sprach darüber auch öffentlich. Als Gegner Saddams habe ich natürlich auf dem Sturz dieser Diktatur beharrt. Ich war nicht für den Krieg, aber ich habe auch nicht stark gegen ihn agiert.

Ihr 2011 erschienener Roman „Engel des Südens“ ist eine literarische Hommage an die verfolgten Minderheiten und die Andersdenkenden im Irak. Was für Nachrichten erhalten Sie heute von dort?
Viele schlechte. Aber bedenken Sie: Auch der arabische Frühling wird keine reine Erfolgsgeschichte. Die arabischen Diktaturen ließen keinen Spielraum für demokratische Entwicklungen. Sie haben die Menschen terrorisiert und die sozialen Gruppen jahrzehntelang gegeneinander aufgehetzt. 2003 wurde Frankenstein im Irak gestürzt, alles Böse kam aus dem Labor heraus und ans Tageslicht. Das sollte eine Lehre sein: Nur wenn die Minderheiten gemeinsam aus den Schatten der Diktaturen treten, kann es zum Beispiel jetzt in Syrien gelingen, eine Entwicklung wie in Irak zu vermeiden.

Nach Ihrer letzten Reise in den Irak veröffentlichten Sie im Frühjahr einen Zeitungsbeitrag mit der Überschrift: „Rendez-vous mit einer Autobombe“.
Wenn man heute durch den Irak fährt, ist das wie russisches Roulette. Man sitzt im Auto, im Stau, es gibt immer Stau in Bagdad, weil es zig Checkpoints gibt – die unnötig sind, es geht nur um Korruption -, und man weiß nie, was passiert. Seit den letzten Wahlen sind die drei für Sicherheit verantwortlichen Ministerposten unbesetzt geblieben. Nuri al-Maliki kontrolliert alles. Ich traf mich mit alten Freunden am Nationaltheater in Bagdad, man könnte meinen, einem ungefährlichen kulturellen Ort. Kaum dass wir da waren, wurde alles evakuiert: Autobombenalarm. An dem Tag passierte nichts. Doch als ich wieder in Deutschland war, einen Tag bevor mein Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, explodierte dort tatsächlich eine Autobombe. Gott sei Dank, ging es glimpflich aus, es gab nur Verletzte.

Wirkt sich der arabische Frühling nicht positiv auf die Situation im Irak aus, was hören Sie?
Natürlich. Die irakischen Bewegungen haben ja Erfahrungen mit Aufständen im Frühling, auch schon gegen das Saddam-Regime. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten färben ab. In Bagdad ist jetzt jeden Freitag eine Demonstration auf dem dortigen Tahrirplatz. Aber auf der anderen Seite gibt es Leute wie Maliki. Vor Kurzem beschuldigte er noch Syrien, den Irak zu destabilisieren. Jetzt äußert er Verständnis für das Assad-Regime und behauptet, der arabische Frühling diene vor allem Israel und dem internationalen Zionismus. Wenn ein Politiker in der arabischen Welt die alte antiisraelische Keule wieder hervorholt, dann hat er nicht mehr alle Tassen im Schrank und ist untragbar. Die neuen Machthaber im Irak sind zum größten Teil gegen die Revolution in Syrien eingestellt, aber für die Opposition in Bahrain. Dort passt sie aus religiösen (schiitischen) Gründen ins Konzept und weil es gegen das (tatsächlich schreckliche) saudische Regime geht. So bestätigt Maliki die Vorurteile, hinter ihm stünden längst die Iraner.

Im von den USA angeführten „Krieg gegen Terror“ wurden Fehler und Menschenrechtsverbrechen begangen. Können die jetzigen arabischen Bewegungen sich dennoch vom antiwestlichen Primat der Politik verabschieden, werden sich Laizisten und Demokraten im arabischen Frühling durchsetzen?
Wenn es nach der Mehrheit der Jüngeren geht, schon. Aber es gibt viele Akteure, mit unterschiedlichen Interessen. Vom Westen sollte man verlangen, dass er nur demokratische Kräfte unterstützt. Man sollte aus machttaktischen Gründen nicht jetzt auch noch die Muslimbrüder zur gemäßigten Kraft erklären. Und außenpolitisch setzt die Nato nach wie vor auf die saudi-arabische Karte. Doch ich glaube nicht, dass sich die neuen, jungen Demokratiebewegungen jetzt einfach wieder von den alten despotischen Kräften überlagern lassen. Ansonsten gibt es gleich die nächste Revolution. Spinner wie die Attentäter von 9/11 gibt es auch heute. Aber sie sind heute ideologisch viel stärker isoliert und marginalisiert.