Ein geschichtsträchtiges Gebäude ist vom Abriss bedroht. Dank seines Erbauers steht es für einen multikulturellen Irak – also für das, was die Scharfmacher im Land heute vergessen machen wollen.
von Najem Wali
Fast hundert Jahre ist es alt. Der Bagdader Baumeister Sayyed Ka- zim bin Arif, einer der berühmtesten seiner Zunft, hat es errichtet. Alles an diesem Haus ist schön: die Rundbögen, die Zimmertüren, die Balustraden auf dem Flachdach, die hölzernen Fenster, der ausladende Balkon hoch über dem Tigris. Es wirkt fast, als habe die Hand des Meisters hier, von der historischen Al-Raschid-Straße aus leicht zurückgesetzt, Stein auf Stein sanft gestreichelt und liebevoll geformt, als habe sie gewusst, dass sie nicht nur ein Haus für einen Mann aus einer alteingesessenen Bagdader Handelsfamilie erbaute, die bekannt für ihren Reichtum war, sondern vor allem einen Ort schuf, der Träumen angemessen sein musste. Dass es so viele Räume und Etagen umfassen musste wie die Träume des Mannes, der darin schlafen und erwachen würde.
All die Jahre, die ich bis zu meiner Flucht am 28. Oktober 1980 ins Exil nach Deutschland in Bagdad lebte, hoffte ich, dieses Haus einmal betreten zu können. Mehr noch als sein Aussehen reizten mich die Geschichten, die man sich von der Privatbibliothek des Hausherrn erzählte. Es hieß, seine Bücher hätten so gut wie alle Zimmer des Hauses eingenommen, es sei die größte Privatbibliothek gewesen, die Bagdad je gekannt habe: Bücher in zahlreichen Sprachen, auf Arabisch und Türkisch, auf Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Deutsch, all jenen Sprachen, die der Hausherr las und schrieb. Bedauerlicherweise sind die meisten dieser Bücher wohl verloren gegangen, als die Ba’ath-Regierung 1970 im Zuge ihrer Hinrichtungswelle gegen Juden und Oppositionelle sich der Bi- bliothek bemächtigte. Zwar hieß es, die Bestände seien in die Sammlung des Irakischen Nationalmuseums gewandert, doch habe ich bei all meinen Besuchen dort nicht eines davon auffinden können.
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erschienen im Feuilleton der FAZ am 17. August 2016