Die Berliner Literaturkritik

Dank dem Schwein!

Najem Walis „Reise in das Herz des Feindes“
Von Silke Katenkamp

BRÜSSEL (BLK) – „Du wirst das Feindesland besuchen?“ So fragte ein irakischer Freund, als Najem Wali von seinem Entschluss berichtet, nach Israel zu reisen. Für einen Araber ist ein solcher Besuch keine Selbstverständlichkeit. In den arabischen Staaten gilt Israel seit seiner Gründung vor 61 Jahren als Feind „Nummer eins“, in den meisten arabischen Ländern kann eine Reise dorthin zur Anklage wegen Landesverrats führen. Trotzdem machte der in Deutschland lebende Iraker sich 2007 auf in das unbekannte Land, gegen das sein Heimatland zweimal in den Krieg gezogen ist. Die ungewöhnliche Reise hat der Schriftsteller in seinem Buch „Reise in das Herz des Feindes“ dokumentiert, für das ihn arabische Fanatiker bereits auf eine Todesliste setzten.

Verwundern mag das kaum. „Reise in das Herz des Feindes“ ist eine krasse Abrechnung des 52-Jährigen mit der arabischen Welt. Gleich zu Beginn der erste Schlag: Wali stellt die Frage, die ihn unter anderem zu seinem Israelbesuch veranlasste. Warum das Reiseverbot für arabische Bürger? Die Antwort ist Walis Ansicht nach einfach. Sie könnten dabei entdecken, dass Araber als israelische Staatsbürger demokratische Rechte und Freiheiten genössen, die arabische Staaten ihren Bürgern verweigerten.

Auch Walis folgende These erscheint gerade vor dem Hintergrund der jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der palästinensischen Hamas im Gaza-Streifen als äußerst provokant: Der Israel-Palästina-Konflikt werde von arabischen Herrschern einzig zur Durchsetzung von politischen Interessen und zur Ablenkung vom eigenen Versagen instrumentalisiert. Er müsse als Vorwand herhalten für jegliche Art von Problemen: Kriege, Wirtschaftskrisen, der Verschlechterung des Bildungsniveaus, der Ausbreitung des Islamismus. Daran, so Wali, seien jedoch die „korrupten Herrscherfamilien selbst schuld“, „ihre Prunksucht und ihre Geringschätzung für ihre Völker“.

Doch damit nicht genug. Die arabischen Staaten vergleicht Wali mit „einer Art tierischen Gesellschaft“, die sich fortpflanzt, starr am Alten festhält und jeglichen Erkenntnisdrang vermissen lässt. Spätestens jetzt muss ein Araber wohl erst einmal tief Luft holen.

Wali steht jedoch trotz Drohungen voll hinter seinem Buch. Er wolle damit die „Rückentwicklung“ beklagen, die in der gesamten arabischen Welt festzustellen sei, erklärt er. Zudem wolle er verdeutlichen: Der von vielen Arabern verhasste Staat Israel hat trotz Krisen und Kriegen in seiner jungen Geschichte eine echte und reife Demokratie gebildet. „Wir Iraker mit unserer Jahrtausende alten Kultur haben das nicht geschafft.“

Kritik an der israelischen Besatzung in den palästinensischen Gebieten widmet Wali sich bei seiner Reisedokumentation nur am Rande. „Ich bin gegen die Besatzung“, betont er. „Aber diese Diskussion überlasse ich meinen israelischen Kollegen. Wenn wir auf beiden Seiten es schaffen, dass jeder seiner Gesellschaft kritisch gegenübersteht, dann ist das ein Schritt zu Versöhnung und Frieden.“

Diese Botschaft findet sich in seinem Buch an vielen Stellen. Während er seine Begegnungen mit den Bewohnern Israels beschreibt, hebt er immer wieder die Bedeutung des Dialogs zwischen Israelis und Arabern, aber auch zwischen Juden, Moslems, Christen und anderen Religionsvertretern hervor. In der nordisraelischen Hafenstadt Haifa staunt er darüber, „wie friedlich die Anhänger von sechs Religionen zusammenleben“. Eindrucksvoll ist auch die Begegnung mit einem jüdischen Ehepaar, das Wali und seine Frau wie selbstverständlich im Bett der Tochter schlafen lässt: einer israelischen Soldatin.

Wichtig sind dem Autor nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Arabern. So begegnet er etwa zahlreichen irakischen Juden, die Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund politischer Repressionen von Bagdad nach Israel flohen und seither zu leidenschaftlichen Bewahrern der arabischen Kultur geworden sind.

Beinahe schon komisch mutet dagegen die Geschichte des Kibbuzes Mirza an. Wali trifft dort auf eine außergewöhnliche Wirtschaftsbeziehung zwischen Juden und ihren palästinensischen Nachbarn. Weil Juden die Schweinezucht verboten ist, kaufen sie die getöteten Tiere von christlichen Arabern aus der nahe gelegenen Stadt Nazareth. „Es ist doch erstaunlich, welche Rolle wirtschaftliche Interessen bei der Annäherung von Gesellschaften spielen“, bemerkt Wali. „Dank sei also dem Schwein, das in dieser Region mehr zum Frieden beigetragen hat, als alle Politiker zusammen.“

© Die Berliner Literaturkritik, 04.03.09