Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
15.03.2009, S. 32
Die Stewardess an Bord des El-Al-Flugzeugs sprach ihn auf Hebräisch an. Dass der „braune Mann“ an Bord des israelischen Flugzeugs ein Araber sein könnte, habe sie sich einfach nicht vorstellen können, erinnert sich Najem Wali belustigt. Nach der Landung in Israel ging es dann ähnlich weiter. Dort glaubten die meisten, dass er nur ein Jude sein könne; nichtjüdische Iraker waren den Israelis in ihrem Land einfach noch nicht über den Weg gelaufen.
Schlicht unvorstellbar ist es für viele Israelis wie Araber bis heute, dass sich ein Iraker einfach ins Flugzeug setzt und nach Tel Aviv fliegt. Es blieb nicht beim Staunen. In den Augen vieler Araber wurde der im südirakischen Basra geborene und seit langem in Berlin lebende Autor zu einem Verräter, der dafür den Tod verdient. Per E-Mail erhielt er anonym Videos, die zeigten, wie Terroristen im Irak Ausländer köpften. Ganz oben landete er auf der Todesliste des „nationalen Widerstands“ aus seiner alten Heimat. Mit seiner Reise und seinem Interesse für Israel ging er auch für andere zu weit. Sogar in Deutschland verlor Wali Freunde, „weil ich ihren Vorurteilen widersprach“.
„Reise ins Herz des Feindes“ heißt das Buch, in dem er von seinem Israel-Besuch erzählt, über den er auch als Kolumnist der angesehenen arabischen Zeitung „Al Hajat“ berichtete. Das Buch erschien auf Deutsch und auf Hebräisch, in Jerusalem stellte Wali es auf der dortigen Buchmesse vor – er war in den vergangenen Jahren häufiger in Israel als im Irak, wo immer noch seine Eltern leben. In diesem Jahr will er wieder dorthin reisen; bis vor kurzem war es dort noch zu gefährlich. Arabische Verleger halten es für zu riskant, seinen Reisebericht zu veröffentlichen. Sie fürchten um ihre Sicherheit und ums wirtschaftliche Überleben. Denn mit einem solchen Titel im Verlagsprogramm bräuchten sie sich auf den arabischen Buchmessen nicht mehr blicken lassen. Dafür würden die Zensoren in den Ländern sorgen, berichtet Wali.
Ihn haben jedoch andere Reaktionen viel stärker beeindruckt. Es sind die ermutigenden E-Mails von jungen Schriftstellern und Intellektuellen aus dem Irak. „Man kennt mich als jemanden, der Tabus verletzt und Mauern durchbricht“, sagt Wali. Bevor ihm Anfang der achtziger Jahre die Flucht nach Deutschland gelang, war er unter Saddam Hussein in Haft, wo man ihn auch folterte.
Ein Tabu war im Irak bis vor wenigen Jahren auch die jüdische Vergangenheit des Landes. Schon in seinem Roman „Die Reise nach Tell al-Lahm“ (2004) machte Wali eine alte jüdische Irakerin zu einer Hauptfigur. „Sie war eine positive Protagonistin, was unter Saddam Hussein nicht möglich war. Damals wurden Juden immer negativ dargestellt. Viele junge Literaten hat das ermuntert, selbst in der Geschichte nachzusehen. Sie entdeckten, dass wir ein wunderbar reiches jüdisches Leben hatten. Mehr als zweitausend Jahre haben Juden im Irak gelebt. Sie waren vor den Christen und Muslimen da.“
Aber auch irakische Politiker lassen sich nicht mehr davon abhalten, sich selbst ein Bild davon zu machen, was lange mit einem Tabu behaftet war. Wie Wali reiste der sunnitische Abgeordnete Mithal al-Alussi schon zwei Mal nach Israel. Im vergangenen Herbst versuchte man in Bagdad, ihm seine Immunität zu entziehen. Er klagte erfolgreich dagegen. Als Alussi im Januar bei den Provinzwahlen antrat, konnte er seinen Stimmenanteil sogar verdoppeln. „Unser Problem im Irak ist nicht Israel, sondern Iran“, sagt Najem Wali. Für ihn war seine Reise nach Israel auch eine Suche nach der jüdischen Vergangenheit seiner Heimatstadt Basra. Wo heute kaum noch die zehn Männer zusammenzubringen sind, die für einen Schabbat-Gottesdienst nötig sind, gab es bis in die fünfziger Jahre eine große jüdische Gemeinde.
Besonders die Hafenstadt Haifa hat es Najem Wali in Israel angetan. Denn dort ist nach seiner Ansicht gelungen, was im Irak vielleicht unwiederbringlich verloren ist: Juden und Araber leben friedlich zusammen, und die zweitgrößte israelische Stadt hatte schon einen arabischen Bürgermeister. Zwanzig Prozent der sieben Millionen Einwohner Israels sind Araber. Nicht immer ist das Verhältnis spannungsfrei: Mit nationalistischen Parolen gingen jüdische Politiker vor der jüngsten Parlamentswahl auf Stimmenfang und stellten die Staatstreue ihrer arabischen Mitbürger in Frage. „In Israel hat die arabische Minderheit trotzdem mehr Rechte als die Araber in Syrien, wo sie die Mehrheit stellen“, sagt Wali. Denn autoritäre arabische Regime wie das in Damaskus würden nie zulassen, was in Israel geschah. Dort schloss der Wahlausschuss vor der Knesset-Wahl zwei arabische Parteien aus; das Oberste Gericht hob das Verbot wieder auf: Dreizehn arabische Abgeordnete sitzen im neuen israelischen Parlament. In Syrien finden sich Oppositionelle dagegen meist im Gefängnis wieder, und die Angehörigen der großen kurdischen Minderheit haben bis heute nicht einmal einen Pass, fügt Wali hinzu.
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER
Najem Wali: „Reise in das Herz des Feindes – Ein Iraker in Israel“. Hanser, 240 Seiten, 17,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main