„Wichtig ist es, keinen Menschen zu töten.“

Wie mich Erich Maria Remarques Roman „Zeit zu leben, Zeit zu sterben“ nach Deutschland gebracht hat.

In der FAZ von 5. Oktober 2024 schreibt Najem Wali über Erich Maria Remarques Roman „Zeit zu leben, zeit zu sterben“.

(…) Der Roman ist erstmals vor siebzig Jahren im September 1954 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen, spielt im Frühjahr 1944 – dem Zeitpunkt der entscheidenden Wende im Zweiten Weltkrieg – und erzählt vom Schicksal des dreiundzwanzigjährigen Wehrmachtsoldaten Ernst Graeber, der sich von der Ostfront beurlauben lässt. Gerade erst hat er die Niederlage der sechsten Armee an der Front von Stalingrad hautnah miterlebt und dort tausende Kameraden sterben sehen, doch noch weiß er nicht, dass er bei seiner Rückkehr nach Berlin seine Heimatstadt in Trümmern liegen sehen wird: zerstörte Häuser, aufgerissene Straßen, obdachlose Menschen, die aus Angst, unter den Trümmern zu sterben, ihre Wohnungen verlassen haben. (…)

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PEN-Zentrum Deutschland: Writers in Prison / Writers at Risk

Najem Wali wird Vizepräsident des PEN-Zentrums Deutschland und Beauftragter für das Writers in Prison / Writer at Risk Programm.

23. Mai 2023, Börsenblatt
Die Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland hat den Schriftsteller Najem Wali zum neuen Beauftragten für das Programm Writers in Prison / Writers at Risk und damit zu einem der beiden Vizepräsidenten bestimmt.Die Entscheidung erfolgt zunächst als Interims-Lösung bis zur nächsten Mitgliederversammlung. Wali stammt aus dem Irak und hatte selbst Verfolgung erlebt.
Besonders seine Erlebnisse in seinem Heimatland Irak motivierten ihn, sich für die Freiheit des Wortes einzusetzen. „Dass ich WiP-Beauftragter des PEN-Zentrums Deutschland bin, ehrt mich und erfüllt mich mit Respekt vor der großen Aufgabe. Ich will sie mit all meinem Engagement ausüben“, stellt Wali in Aussicht.

„Schriftstellerinnen und Schriftsteller leisten Widerstand, setzen sich für Gerechtigkeit und freie Gesellschaften ein. Dafür werden viele verfolgt, bedroht, angriffen, eingekerkert, verbannt und nicht selten getötet. Solange einer oder eine von ihnen irgendwo nicht frei ist, ist niemand frei.“ Najem Wali

Von Fatwas und anderen Teufeln

Die Meinungsfreiheit muss verteidigt werden. Was für einen Preis Salman Rushdie und andere Autoren dafür gezahlt haben!

Ein Gastbeitrag von Najem Wali in der FAZ
27. August 2022
Deprimierend nennt der Nobelpreisträger Orhan Pamuk die Situation, in der sich Literaten und Verfechter der Meinungsfreiheit heute befinden. In der Tat, Pamuks Bezeichnung, die man in einem Artikel über das Attentat auf Salman Rushdie in La Point nachlesen kann, ist zutreffend. Zählt man die Attentate und Angriffe auf Schriftsteller, Künstler und Journalisten, wird man sprachlos. Wer dachte, der Raum für das freie Wort würde größer, hat sich getäuscht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Meinungsfreiheit schrumpft. Tabubrechende Werke, die sich kritisch mit Religion oder Despoten auseinandergesetzt haben und bis vor zwei Jahrzehnten gedruckt werden konnten, würden heute kaum mehr einen Verlag oder eine Plattform finden. Solange Fatwas und Hassprediger herumgeistern, wird die Lage immer bedrohlicher. Denn es gibt immer Fanatiker, die bereit sind Fatwas und Rufmorde in die Tat umzusetzen. Es ist wie ein Krieg zwischen Geist und Glauben. Religion wie Politik braucht Überzeugung. Die Literatur aber lebt vom Zweifel. Leider gibt es eine große Zahl jener, die kein Zweifel im Raum lassen wollen. Betrachtet man die Zahl der Opfer von Fatwas, stellt man fest, wie gefährlich es für diejenigen ist und war, die das freie Wort und die Freiheit der Kunst verteidigen. Schon viele bezahlten mit ihrem Leben dafür.

Den ganzen Artikel lesen Sie hier: FAZ_Chronik der Fatwas

Das Militär versteht keinen Spaß

Zehn Jahre nach dem Sturz Mubaraks handeln Bücher, in denen arabische Autoren gegenwärtige Fakten mit Fiktion mischen, nicht mehr von der Revolution, sondern von der Restauration.

Moritz Baumstieger über „Soad und das Militär“ von Najem Wali
Süddeutsche Zeitung, 2. Dezember 2021

Dass der Umweg über die Fiktion oft der kürzeste ist, um manchen Realitäten nahezukommen, wissen Autoren weltweit. Für Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus autoritär regierten Gesellschaften ist die Form des Schlüsselromans jedoch häufig der einzige Weg, auf dem sich Inhalte an der Zensur vorbei zu den Lesern schmuggeln lassen. Der Schriftsteller Najem Wali weiß das natürlich, er wurde 1956 im Irak geboren und lebte dort, bis er 1980 zu Beginn des irakisch-iranischen Krieges flüchtete.

Wie schnell die Realität die Fiktion einholen kann, weiß Wali spätestens, seit er seinen jüngsten Roman veröffentlichen wollte – vielleicht wusste er es auch schon vorher und hat die Konfrontation einkalkuliert. Im Zentrum seiner Geschichte steht eine ägyptische Sängerin und Schauspielerin namens Soad, die vom Volk verehrt und vom herrschenden System missbraucht wird. Als Gerüchte aufkommen, dass sie ihre Memoiren schreiben wolle – Erinnerungen, die für gewisse Herren recht unangenehm ausfallen könnten -, kommt Soad im britischen Exil zu Tode. Vielleicht war es Selbstmord, vielleicht ein Unfall. Vielleicht auch keines von beiden.

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Katz und Maus spielen mit der Zensur

Seine Bücher bringen ihm Drohungen ein, Verleger in Schwierigkeiten und landen auf dem Index. Wie Najem Walis neuer Roman trotzdem an die arabischen Leser gebracht wird.

Von Lena Bopp, Beirut, FAZ 20. Juli 2021

Manchmal sind die Bücher von Najem Wali gefährlich. Nicht in Deutschland natürlich, wo die Romane des 1980 aus dem Irak emigrierten Schriftstellers oft wohlwollend aufgenommen werden. Aber in arabischen Ländern durchaus. Der Roman „Saras Stunde“ (2018) über eine junge Frau, die gegen konservative Kräfte in ihrer saudischen Heimat kämpft, geriet in Saudi-Arabien auf den Index. Auch sein jüngstes Buch, „Soad und das Militär“, brachte, während es in Deutschland vor wenigen Wochen naturgemäß problemlos erschien, seinen irakischen Verleger in Schwierigkeiten. An „Soad und das Militär“ ist schon der Titel verdächtig. Gleich mehrere Verlage in Beirut und Bagdad wollten den Roman nicht veröffentlichen, und als er schließlich bei Darstoor in Bagdad erschien, wurde das Wort „Militär“ auf dem Cover mit einem schwarzen Balken überdeckt. Das Buch greift die Geschichte der ägyptischen Schauspielerin Soad Hosny auf, um deren Tod sich allerlei Mythen ranken. Denn bevor die im Ägypten der sechziger und siebziger Jahre verehrte Diva 2001 vom Balkon eines Appartements in London stürzte, soll sie angekündigt haben, ihre Memoiren zu schreiben. Da sie enge Verbindungen zum Militär und in die Politik hatte, kam rasch die Vermutung auf, sie könnte ermordet worden sein, allerdings wurden die genauen Umstände ihres Todes nie geklärt.

Den vollständigen Artikel in der FAZ lesen Sie HIER

Eine ägyptische Cindarella

Najem Wali über die ägyptische Filmdiva Soad Hosny, die politische Entwicklung in Ägypten seit den 50er Jahren und seinen neuen Roman „Soad und das Militär“.

Ein Interview in der TAZ von Andreas Fanizadeh, 19. Juni 2021

Egypt, Cairo, Cafe Riche

taz am wochenende: Herr Wali, Sie waren sicherlich öfters in Kairo, Kairo ist ja Ausgangspunkt Ihres aktuellen Romans?

Najem Wali: Zum ersten Mal war ich 1993 in Kairo. Sechs Monate lang. Damals schrieb ich an der Uni Hamburg meine Doktorarbeit. Ich habe in der ägyptischen Nationalbibliothek recherchiert. Damit begann meine Liebe zu Kairo. Ich war seitdem fast jedes Jahr da.

taz am wochenende: In Ihrem neuen Roman „Soad und das Militär“ verbinden Sie eine Geschichte aus der Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Gegenwart, warum?

Najem Wali: Das Thema Militär beschäftigt uns in der Region und mich schon seit meinem ersten Roman, „Krieg im Vergnügungsviertel“. Egal wo, sie regieren permanent. Die Militärs in Ägypten oder Irak kamen im Namen von nationaler Unabhängigkeit und Befreiung an die Macht. Sie gaben sie seither nie mehr freiwillig ab. Sie haben Königreiche wie in Ägypten gestürzt. Doch mit dem Versprechen von Freiheit und Wohlstand für alle wurde es nichts. Es war ein Betrug. 1952 putschten die Militärs in Ägypten. Bis heute kontrollieren sie mit ihren Geheimdiensten das gesellschaftliche Leben und die wichtigen Zweige der Wirtschaft. Diesen Juli werden es 69 Jahre sein! Ihr ganzer Patriotismus dient nur dazu, von Misswirtschaft und fehlender Demokratie abzulenken.

1952, das war Gamal Abdel Nasser?

Ja, die Offiziersclique um ihn. Aber es geht mir weniger um das Militär als um Macht und Abhängigkeit. Meine Hauptfigur ist eine Künstlerin, eine ägyptische Filmdiva, die missbraucht und deren Existenz am Ende von den Mächtigen zerstört wird.

Hat diese Figur der Filmdiva Soad reale historische Bezüge oder ist sie eine rein literarische Erfindung?

Soad Hosny existierte. Sie war eine sehr bekannte Frau. Sängerin, aber noch berühmter als Schauspielerin. Die „Cinderella“ des ägyptischen Kinos. Geboren 1943 in Kairo, starb sie Juni 2001 in London. Sie fiel vom Balkon einer Wohnung aus dem sechsten Stock des Stuart Towers. Sie hatte angekündigt, ihre Memoiren schreiben zu wollen. Das musste für viele hochrangige ägyptische Militärs und Geheimdienstleute als Bedrohung klingen. Laut Scotland Yard war es Selbstmord oder ein Unfall. Aber viele glauben, es war Mord.

2001 der Tod in London, 2011 der Arabische Frühling und der Sturz des Mubarak-Regimes in Kairo, dort soll man auf dem Tahrir-Platz Lieder von ihr gesungen haben?

Experiment HEIMAT: Nottuln

Wadentraining und Erinnerungen
Der irakische Schriftsteller Najem Wali mit Swenja Janning, der Kulturreferentin des Kreises Coesfeld, vor dem Nottulner Rathaus.
Der irakische Schriftsteller Najem Wali mit Swenja Janning, der Kulturreferentin des Kreises Coesfeld, vor dem Nottulner Rathaus.

Der Schriftsteller und Journalist Najem Wali war zu Gast in Nottuln. Der Wahl-Berliner aus dem Irak gehört zu den bekannten kritischen Stimmen der arabischen Welt.

Von Ulla Wolanewitz, Westfälische Nachrichten, 18.05.2021

Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Und wer die schönste Sicht in die Baumberge genießen will, muss 129 Stufen bewältigen. Dieses spezielle Wadentraining ermöglichte „Turmherr“ Wilhelm Wesseln am Montag einem besonderen Gast aus Berlin. Der irakische Schriftsteller Najem Wali , der in diesen Tagen im Rahmen des Projektes „Experiment Heimat“ – initiiert vom Westfälischen Literaturbüro in Unna – in der Region unterwegs ist, startete seine Exkursion in und um Nottuln herum auf dem Longinusturm mit der wunderbaren Aussicht auf die sonnengelben Rapsfelder. Mit Blick auf die neuen Entfernungstafeln an der Reling in 24 Metern Höhe fiel dem Journalisten in südwestlicher Richtung gleich der Name „Bergkamen“ ins Auge. „Dort musste ich 1983 zu einer Anhörung“, erinnerte er sich.

Wie man zum Geächteten wird

Es ist viel die Rede von Fortschritten im Nahost-Friedensprozess, doch gerade unter arabischen Intellektuellen wird weiter gegen Israel gehetzt. Und gegen alle, die für eine Normalisierung eintreten.

Essay von Najem Wali, F.A.Z am 23. Januar 2021

Ende dieses Monats ist es zehn Jahre her, dass arabische Jugendliche auf die Straßen gingen. Seitdem hat sich vieles in der Region verändert, Regime sind gestürzt, Wahlen haben stattgefunden. Nur eines hat sich keinen Millimeter bewegt: die sture Antinormalisierungshaltung gegenüber Israel, die bei der Mehrheit der arabischen Intellektuellen Tradition und insbesondere bei der älteren, aber in der Kulturszene dominanten Generation ihren festen Platz hat.

Fangen wir mit einem berühmten Fall an: Ende 2010, nur wenige Wochen vor dem Kairoer Frühling, gab das Israelisch-palästinensische Zentrum für Forschung und Information (IPCRI) bekannt, dass es seinen hebräischen Lesern das seltene Privileg bieten wolle, einen damals vieldiskutierten ägyptischen Roman zu lesen. Als dessen Autor sich weigerte, das Buch ins Hebräische übersetzen und in Israel veröffentlichen zu lassen, übernahm ein Freiwilliger die Übersetzung, und das IPCRI wollte sie kostenlos anbieten, um das kulturelle Bewusstsein und das wechselseitige Verständnis in der Region zu erweitern. Der Autor war aufgrund seiner Haltung zu Israel darüber zutiefst frustriert. Er beschuldigte das IPCRI und den Übersetzer der Piraterie und des Diebstahls und reichte eine Beschwerde bei der International Publishers Association ein. Sein gutes Recht. Aber was bedeutet seine gegen jede Normalisierung des arabisch-israelischen Verhältnisses gerichtete Handlung?

Hella Mewis ist wieder frei!

Nach fünf Tagen im Schockzustand über Hella Mewis‘ Entführung, fünf Tagen des angespannten Wartens und der Sorge, nun einmal eine freudige Nachricht aus Bagdad: Hella Mewis ist wieder frei! Welche Bedeutung hat ihre Arbeit für die jungen Künstler vor Ort?

Ein Gastbeitrag von Najem Wali,  SPIEGEL online, 25. Juli 2020

Irakische Kulturszene
Auf den ersten Blick herrscht heute Demokratie
Ich kenne Hella Mewis, diese wunderbare Frau, seit 2011, als sie von Kairo nach Bagdad kam, sich in die Stadt verliebte und beschloss, allen Gefahren zum Trotz, zu bleiben. Im Jahr 2015 eröffnete sie dort das „Bait Tarkib“ („Haus der Gestaltung“), ein Zentrum für junge Künstler.

Im Frühling 2014 veranstaltete sie mit mir in der Ruine des ehemaligen Gerichtsgebäudes in der Mutanabbi-Straße die erste Lesung aus meinem Roman „Bagdad Marlboro“, in Deutsch und Arabisch. Ich weiß noch, wie sie auf dem Weg dorthin wegen des dichten Verkehrs aus dem Taxi steigen und zu Fuß weitergehen wollte. Aus Sorge um sie zögerte ich zunächst, denn wir mussten durch ein ärmeres Viertel mit engen Gassen. Doch zu meiner Überraschung kannten die Menschen sie dort. Alte Leute, die vor ihren Häusern in der Sonne saßen, standen auf und begrüßten sie: „Willkommen, Madame!“ In fast allen Bagdader Geschäften und Klubs war Hella bekannt und respektiert. „Sie brauchen keinen Ausweis, Hella ist Ihre ID“, hieß es in meine Richtung von sämtlichen Wachleuten.

Proteste im Irak: Schiiten gegen Schiiten

In der Süddeutschen Zeitung schreibt Najem Wali in einem Gastbeitrag darüber, was die Widerstände im Irak von anderen arabischen Aufständen unterscheidet. Welche Mächte sich einmischen. Und warum die Bewegung zum Scheitern verurteilt ist. (SZ, 7. November 2019)

Aufstand der Jugend - die Unruhen in Bagdad begannen mit Tuktuk-Fahrern und Straßenverkäufern. (Foto: Khalid Mohammed/dpa)
Aufstand der Jugend – die Unruhen in Bagdad begannen mit Tuktuk-Fahrern und Straßenverkäufern. (Foto: Khalid Mohammed/dpa)

Als Erste erhoben sich die Jugendlichen aus den Slums von Bagdad, aus Thawra, Schula, Hurrija. Sie waren Straßenverkäufer und Fahrer von Tuk-Tuks, Motorradtaxis. Die Regierung hatte ihre selbstgebauten Elendshütten niederreißen lassen und den Straßenverkauf verboten, dann schränkte sie die Tuk-Tuk-Routen durch die Stadt ein. Wo und wovon sollten sie leben? Das war Anfang Oktober.

Die Aufständischen besetzten den Tahrir-Platz und andere Flächen der irakischen Hauptstadt, und etwas Seltsames geschah. Bislang galten Straßenverkäufer und Tuk-Tuk-Fahrer als „Schmarotzer“, die vom Chaos profitierten und rote Ampeln überfuhren. Aber nun sang die Presse Loblieder auf die jungen Menschen. Frauen und Männer, Intellektuelle und einfache Bürger priesen ihren Mut, ihre Großzügigkeit und Opferbereitschaft, weil sie heldenmütig die Verletzten ins Krankenhaus brachten.

Vom Widerstand einer Frau gegen die Schikanen ihrer Heimat

100Verbote und Zwangsheirat: Eine junge Frau rebelliert gegen das saudi-arabische Patriachat

Buchbesprechung zu SARAS STUNDE von Ulrike Baureithel
Der Tagesspiegel, 27. Juli 2018

Walis Heldin ist eine jener unerschrockenen Frauen in der arabischen Welt, von denen der Autor sagt, sie „kämpfen mit einem Körper aus Glas gegen den Stein“. Insbesondere in der Ostprovinz, wo die saudischen Mädchen durch die Folgen des Golfkriegs mit den freier erzogenen Flüchtlingsfrauen aus Kuwait in Kontakt kommen, erhebt sich Widerspruch. Sara fühlt sich zum Entsetzen ihres Vaters zu einem Handwerker hingezogen, eine Unmöglichkeit in der sozial extrem segregierten und hierarchischen saudischen Gesellschaft. Wali entwirft ein differenziertes Bild der saudisch-arabischen Gesellschaft. Eingebettet in die turbulenten Ereignisse seit 1980, die den Krieg ins eigene Land tragen, hat Saras Schicksal etwas Exemplarisches.
Die ausführliche Rezension lesen Sie HIER

Aufstand gegen den Tugendzwang

Sara ist keine politische Aktivistin, sie will keine großen Umwälzungen. Sie möchte „nur“ ein selbstbestimmtes Leben führen – in Saudi-Arabien auch eine Art von Revolution.

Alles in Saras Welt ist streng geregelt und vorgegeben. Jeder hat seine Aufgaben zu erledigen, seine Rollen auszufüllen, seine Grenzen einzuhalten. Innerhalb dieses Regelwerks hat Sara sich zu bewegen und ihr Leben zu arrangieren. In „Saras Stunde“ erzählt der Autor Najem Wali vom stillen Aufbegehren einer jungen Frau in Saudi-Arabien gegen die Scheinheiligkeit der Männergesellschaft.

DIE PRESSE, 26. Mai 2018
Die ganze Buchbesprechung von Irene Zöch finden Sie HIER

Najem Wali und Sibylle Lewitscharoff im SPIEGEL – Gespräch

Najem Wali und Sibylle Lewitscharoff reden über das Kreuz, die Vollverschleierung – und die letzten Fragen sowieso.
Foto: Wolfgagn Stahr/DER SPIEGEL
Foto: Wolfgang Stahr/DER SPIEGEL

Die beiden ha­ben für ihr Buch »Abra­ham trifft Ibra­him. Streif­zü­ge durch Bi­bel und Ko­ran« neun Ge­stal­ten aus­ge­wählt, von Eva, Abra­ham und Mose über Lot, Hiob, Jona, Kö­nig Sa­lo­mo, die Jung­frau Ma­ria bis zum Teu­fel(*). De­ren Ge­schich­ten ge­hen sie ab­wech­selnd aus je ei­ge­ner Sicht nach. Ihr li­te­ra­risch-phi­lo­so­phi­scher Dia­log zwi­schen den Welt­re­li­gio­nen be­rührt die ewi­gen Mensch­heits­fra­gen Schuld und Ge­rech­tig­keit, Stra­fe und Er­bar­men, Ge­walt und Ver­söh­nung eben­so wie die Kri­sen un­se­rer Zeit.
DER SPIEGEL 19/2018. Das ganze Gespräch lesen Sie HIER

Literaturkritik: Tugendterroristen

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foto: cp-pictures

„Dieses Mädchen macht mir Angst“, sagt der Vater in Najem Walis Roman SARAs STUNDE über seine Tochter. Die Geschichte eines gerechten Mordes.
Literaturkritik in DER SPIEGEL 9/2018
von Lothar Gorris

Der Schriftsteller Najem Wali ist eine Art Satellit der arabischen Literatur, eine Stimme, die hinunterfunkt in eine Welt der Ungerechtigkeit. Anfang der Achtzigerjahre flüchtete er nach Deutschland. Seine Bücher schreibt er auf Arabisch. Fast alle wurden zuerst von seinem Verlag in Beirut veröffentlicht und erst später ins Deutsche übertragen. Ein Autor der arabischen Postmoderne, der sich selbst in seinen Büchern auftreten lässt und in orientalischen Schlaufen erzählt. Vor allem ist Wali ein Autor, der den Tabubruch sucht. SARAs STUNDE ist ein einziger Tabubruch. Die ausführliche Literaturkritik lesen Sie HIER

Die Angst vor dem Schrei

Ein weiter Weg: Najem Wali erzählt von „Saras Stunde“

F.A.Z. – Literatur und Sachbuch, 06.03.2018 100
von Lena Bopp

Zuletzt war aus Saudi-Arabien manch Gutes zu hören. Vom kommenden Sommer an soll es Frauen erlaubt sein, Auto zu fahren. Fürs Frühjahr wurde die Eröffnung des ersten Kinos angekündigt. Und schon vor einigen Wochen trat die libanesische Sängerin Hiba Tawaji beim ersten Popkonzert für Frauen in Riad auf. MBS, wie der Kronprinz Mohammed Bin Salman genannt wird, scheint es ernst zu meinen mit der angekündigten Modernisierung des Landes, die neben wirtschaftlichen manch heikle gesellschaftliche Felder betrifft.

Hierzulande erscheint in diesen Tagen allerdings ein Roman, der den guten Nachrichten aus Saudi-Arabien misstraut. Najem Wali, 1956 im Irak geboren und in den achtziger Jahren nach Deutschland ausgewandert, hat mit „Saras Stunde“ ein Buch geschrieben, in dem Saudi-Arabien als jenes „Königreich der Finsternis“ beschrieben wird, von dem spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September viel die Rede war. Mag sein, dass seine Protagonistin Sara auf eine Schule gehen darf, in der die Mädchen von den Jungen zumindest in den ersten Schuljahren nicht getrennt sind. Und dass man ihr gestattet, mit ihrer Freundin Alhanuf durch das Loch im Schulhofzaun zu entwischen, um sich im benachbarten Garten niederzulassen. Aber all die Nachsicht, die Saras Vater, ein im Kuweit-Krieg zu Reichtum gekommener Spediteur, seiner Lieblingstochter gewährt, schützt sie nicht vor den konservativen Kräften in ihrem Land…

DIE BALKANROUTE – Fluch und Segen der Jahrtausende

Cover Balkanroute1Das neue Buch DIE BALKANROUTE von Najem Wali ist erschienen!

Angeregt durch die Flüchtlingsströme bereist Wali die Balkanroute und begibt sich im Gebiet zwischen der Türkei und Griechenland an die Nahtstelle zwischen Orient und Okzident. In seinem sehr persönlichen Bericht erzählt er von seinen Eindrücken, seinen Begegnungen mit Vertriebenen, Schutzsuchenden und Zurückgebliebenen und von der bewegten Geschichte der Levante, in der sich seit jeher reicher kultureller Austausch mit blutigen Vertreibungen abwechselten. (Mattes & Seitz Berlin, Reihe: punktum, 175 Seiten, September 2017)

Interviews und Besprechungen zum Buch sind zu hören im DeutschlandfunkSWR2ORF Ö1Deutschlandfunk Kultur, sowie nachzulesen im FALTER.

Die Erfindung Bagdads

EXIL

Seit fast 40 Jahren lebt der im Irak geborene Schriftsteller Najem Wali in Deutschland, einem Paradies von Freiheit, Wohlstand, Demokratie. Sein Herz blieb zurück in einer von Terror zerrissenen und verrottenden Stadt, die Leute braucht wie ihn.

Najem Wali mit Lothar Gorris in der Raschid-Straße
Najem Wali mit Lothar Gorris in der Raschid-Straße

Für die Deutschen ist Wali ein Iraker. Für die Iraker ein Deutscher. Er selbst beharrt darauf, ein Exilant zu sein. Die Entfernung zwischen Exil und Heimat misst sich nicht in Metern, sondern in Jahren. Von Lothar Gorris

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL (Ausgabe 28/2017).

„Ich werde die Erfindung der Stadt unverdrossen fortsetzen. Mein ganzes Leben, bis zum Grab, will ich dieser Erfindung weihen, der Erfindung Bagdads.“ Najem Wali erzählt über sein Bagdad

Literaturwerkstatt im Irak

Die schreibenden Frauen von Basra

Im Erzählen liegt die Rettung vor der Alltagskatastrophe: In einer Schreibwerkstatt im Irak verwandeln 25 Frauen verschiedener Herkunft das Unterdrückte in Geschichten.
Von NAJEM WALI

Die schreibenden Frauen von Basra
Die schreibenden Frauen von Basra, Juni 2016

Ein Prosaworkshop? Für Frauen in Basra? Meine letzte Reise in die irakische Hafenstadt lag schon zwei Jahre zurück, und ich erwartete nicht, dass sie sich positiv entwickelt hätte. Im Gegenteil, die Nachrichten von dort verhießen nichts Gutes, sei es, was die Zerstörung der Infrastruktur in den letzten Jahren anbetraf, sei es in Bezug auf den Niedergang staatlicher Autorität, das Nichtfunktionieren der Verwaltung oder die allgegenwärtige Korruption – die traditionelle Macht der Clans und den ausufernden Waffenbesitz nicht zu vergessen. Hinzu kommen die Ehrenmorde, denen jedes Jahr Dutzende von Frauen zum Opfer fallen. Unter derartigen Umständen also wollten beherzte deutsche Suffragetten dort eine Prosawerkstatt organisieren. Unter der Leitung eines Mannes. Ich nahm die Herausforderung an.
Den ganzen Artikel, erschienen in der FAZ, können Sie hier lesen: FAZ, Die schreibenden Frauen von Basra

Der zweigeteilte Schriftsteller

„Ein Wort oder ein Satz muss duften wie frisches Brot“, sagte der deutsch-irakische Schriftsteller Najem Wali im Deutschlandfunk.

Von Sigrid Brinkmann
Deutschlandfunk, 23. Oktober 2015

Der deutsch-irakische Schriftsteller Najem Wali am Landwehr-Kanal in Berlin. (imago/stock&people) 

Najem Wali am Landwehr-Kanal in Berlin. (imago/stock&people)

Zweigeteilt fühlt sich der Schriftsteller: Ein Najem lebt in Berlin, der andere bleibt auf immer in Bagdad und wird nicht müde, von der Stadt seiner ersten unbändigen Sehnsucht zu erzählen. „Kolumbus entdeckte Amerika, ich Bagdad“ notiert der in Amâra, im Süden des Landes geborene Autor und nimmt den Leser von der ersten Seite an mit auf eine fantastische, lehrreiche und bisweilen melancholisch stimmende Entdeckungsreise – getragen von diesem einen Gefühl, dass Najem Wali klar benennt.

„Meine Liebe zu Bagdad hat mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben, um den Menschen zu zeigen, wie schön diese Stadt war – die Stadt der Bücher, die Stadt der schönen Frauen mit Miniröcken, wer könnte das glauben? Selbst die jungen Leute im Irak, meine Neffen, wenn sie die Fotos sehen, das ist für sie wie Science-Fiction und sie denken, der Onkel hat eine Montage gemacht.“

Zwischen Sachbuch und Künstlerroman
Najem Wali beschwört den verlorenen Geist und das Flair der kosmopolitischen Weltstadt. Das mit vielen privaten Fotografien und alten Postkarten versehene und mit immenser Detailkenntnis geschriebene Werk hat die Qualitäten eines erzählenden Sachbuches, und doch kann man es ebenso gut als autobiographischen Künstlerroman lesen.

Traumstadt Bagdad – Eine erste Liebe

Wunderbar und entsetzlich – in den Sechzigern war Bagdad eine moderne Traumstadt, mit Straßenkreuzern und Casinos.

Sonja Zekri über Najem Walis neues Buch „Bagdad. Erinnerungen an eine Weltstadt“
Süddeutsche Zeitung, 12. Oktober 2014

Vater und Sohn sind glänzender Laune, der Ältere knapp dreißig, weißer Anzug, Krawatte, schmaler Schnurrbart, der Sohn sechs Jahre, gestreiftes Hemd, vor Aufregung halb tot. Folgendes ist ihr Plan für den ersten gemeinsamen Tag in der Hauptstadt: im Lieblingsplattenladen die neuesten Alben kaufen, die noch vor der Musik den Namen der Produktionsfirma abspielen. Im Buchladen Mackenzie nach neuen Ausgaben der deutschen Burda Moden schauen. Im Fotogeschäft ein Erinnerungsbild machen. Schließlich: einen Grundig-Fernseher bestellen, den das Geschäft zur Unterkunft in der Stadt und zu ihrem Auto liefert. Es ist ein gelber Chevrolet 60.

Jetzt die Eine-Million-Dollar-Frage: Von welcher Hauptstadt ist die Rede?

#FBM15 Countdown

Najem Wali und die Toleranz der Literatur

IM LAND DER DICHTER UND DENKERPortraitWali
Am 14. Oktober wird der irakische Schriftsteller und Journalist Najem Wali den diesjährigen Weltempfang zum Thema “Grenzen in Zeiten von Flucht und Vertreibung” mit eröffnen. Wali, der 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs selbst nach Deutschland floh, erzählt uns im Interview, wie Literatur Brücken schlagen und für mehr Verständnis zwischen den Kulturen sorgen kann.

Der Weltempfang

Willkommen im Zentrum für Politik, Literatur und Übersetzung auf der Frankfurter Buchmesse. Der Weltempfang ist traditionell der Ort für Diskussionen und Gespräche mit internationalen Autoren zu politischen Themen. In diesem Jahr ist er erstmals in Halle 3.1 verortet, Thema ist „Grenzverläufe“.

fbm: Herr Wali, wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse waren, und wie Sie das Erlebnis empfunden haben?

Najem Wali: Ja, das habe ich noch sehr deutlich in Erinnerung. Das war 1985, ich studierte damals Germanistik in Hamburg. Ich war mit einem chilenischen Freund dort, der sich den chilenischen Stand ansehen wollte. Ein älterer Mann am Stand sprach mich auf Spanisch an und glaubte mir einfach nicht, dass ich kein Chilene bin. Er dachte die ganze Zeit, ich wolle ihn auf den Arm nehmen. Erst als ich ihm meinen Ausweis zeigte, sah er seinen Irrtum ein – meinte dann aber, ich müsse unbedingt Spanisch lernen – und zwar chilenisches Spanisch. Dieses Erlebnis habe ich noch sehr lebendig in Erinnerung. Seitdem bin ich oft auf der Frankfurter Buchmesse gewesen. Und seit 2004 mein erstes Buch bei Hanser erschienen ist, war ich fast jedes Jahr da. Die Messe ist für mich eine wichtige Gelegenheit, Kollegen und Freunde aus der ganzen Welt zu treffen.

fbm: Wie kann Literatur dazu beitragen, dass Menschen mehr Toleranz für andere Kulturen und Denkweisen entwickeln? 

Nibelungenfestspiele in Worms

Screen Shot 2015-07-30 at 16.21.42Am Freitag, den 14. August, habe ich die Ehre in Worms im Rahmenprogramm der Nibelungenfestspiele die erste Rede zu halten.

15.30 Uhr / Château Schembs – Försterbau
REDE I VON NAJEM WALI
Der Autor Najem Wali, in dessen Heimat Irak Kriegszustand herrscht, ist eingeladen, über seine heutige Sicht auf das Nibelungenlied und dessen grenzüberschreitende Aktualität zu sprechen.

Anspruchsvolles Rahmenprogramm mit aktuellen Bezügen

Das Festspielprogramm findet mit einem von Albert Ostermaier kuratierten und hochkarätig besetzten Programm seinen Abschluss. Einige der herausragendsten deutschen Schauspieler, spannende Autoren aus der ganzen Welt sowie Deutschlands beste Spoken-Word-Poeten trafen sich, um sich den brennenden Fragen unserer Zeit zu stellen. Mit dabei waren unter anderem Jurij Andruchowytsch, Abasse Ndione, Feridun Zaimoglu, Volker Braun, Rawi Hage, Najem Wali, Alawiyya Sobh, Sherko Fatah, Hannelore Elsner, Thomas Thieme, Udo Samel, Marcel Reif, Stefan Weidner, DJ Munk und Peter Licht.

Albert Ostermaier: „Ich bin über das, was wir hier beim Rahmenprogramm erlebt haben, mehr als glücklich. Die Künstler haben mit ihren herausragenden Texten und Beitragen auf faszinierende Weise das Nibelungenlied als Spiegel der Gegenwart belebt. Wir haben Blickwinkel erleben dürfen, die immer auch Blickwechsel waren und neue, überraschende, begeisternde Perspektiven eröffnet. Das Festival war politisch, poetisch, provokant und zugleich voller Witz und Esprit. Es kam zu Begegnungen, die wieder zu neuen Projekten führen und Worms als Ursprung haben werden. Das Publikum war nicht nur hautnah dabei, sondern im Gespräch und Austausch mit allen Teilnehmern. So kann es weitergehen!“

Najem Wali: „Ich schreibe immer aus der Erinnerung“

In seinem Roman «Bagdad Marlboro» erzählt der irakische Schriftsteller Najem Wali von einem Land im Krieg. Heute erhält der zurzeit in der Villa Sträuli lebende Autor in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch. Wie schreibt man aus der Distanz des Exils so einen Roman?

Als 1980 der Iran-Irak-Krieg begann, entzog sich Najem Wali der Einberufung in die Armee und floh nach Deutschland. Auf Desertion stand unter Saddam Hussein die Todesstrafe: Bis zu dessen Ende 2003 durfte Wali seine Heimat, in der bis heute seine Eltern leben, nur noch heimlich besuchen. In Hamburg und Madrid studierte er dar­auf deutsche und spanische Literatur. Heute ist der Autor, der 1956 in Basra geboren wurde, in Europa eine der bekanntesten Stimmen der arabischen Welt.

Als Journalist schreibt er nicht nur für die im Libanon erscheinende arabische Tageszeitung «Al-Hayat», er meldet sich auch regelmässig in den grossen deutschsprachigen Zeitungen zu Wort. So berichtete er etwa im ­Januar in der «Neuen Zürcher Zeitung» über die arabischen ­Reaktionen auf das Attentat in Paris. Seine Bücher erscheinen im Hanser-Verlag. Für das jüngste, den vor einem Jahr erschienenen Anti­kriegsroman «Bagdad Marlboro», erhält Wali heute in Wien den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch. Zum Artikel

Vom Glück, den Krieg überlebt zu haben

Hamburger Abendblatt, 6. Februar 2015

Hamburg. Der irakische Schriftsteller Najem Wali stellt seinen aktuellen Roman „Bagdad Marlboro“ anlässlich der Lessingtage im Nachtasyl vor. Dabei treibt ein schlechtes Gewissen den Autor zum Schreiben an.

Irgendwann erzählte der Mann, dieser Mann mit jener eindrucksvollen Vita, von seiner Schwester. Der Schriftsteller Najem Wali hat die Schwester, eine von fünf, aus Bagdad nach Deutschland geholt. Es war gleichsam eine Flucht aus dem Irak, das chronisch instabile Land hatte auch er selbst schon Jahrzehnte vorher verlassen. Die Schwester, eine Arzthelferin, lebt jetzt in Dresden. Zurzeit will sie wieder fliehen.

„Wegen Pegida“, erklärte Wali – und lachte.

Kriegsroman „Bagdad Marlboro“

Schuld und Chaos 

von Meike Feßmann
Der Tagesspiegel, 28.04.2014

Welche Schlacht? Welche Front? In seinem großen Kriegsroman „Bagdad Marlboro“ lässt der in Berlin lebende Iraker Najem Wali viele Details im Ungewissen und kommt so der Erfahrung von Soldaten erschreckend nah.

Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.
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„Bagdad Marlboro“ – die Namen zweier Zigarettenmarken, irakisch die eine, amerikanisch die andere, bilden den Titel des neuen Romans von Najem Wali – einem Höllentrip durch die Kriege des Irak. Najem Wali, der 1956 in der südirakischen Hafenstadt Basra geboren wurde, zu Beginn des irakisch-iranischen Kriegs nach Deutschland floh und heute in Berlin lebt, will die Leiden der Soldaten nicht nach Nationen und Religionen gewichten. Das Credo seines Erzählgeflechts, voller Geschichten, die begonnen und abgebrochen, variiert und zu Ende gesponnen werden, ist bei aller Raffinesse denkbar schlicht: „Alle wissen, dass es in jedem Krieg um nichts anderes geht als um den Tod. (…) Es ist die einzige Wahrheit, die für alle Kriege gilt, die aber niemand offen ausspricht.“

In einer Sprache zwischen Poesie, Fabulierlust, Faktenwissen und nüchterner Proklamation einfacher, aber oft verborgener Wahrheiten schickt Wali den Leser auf eine Tour de Force. Dass sie immer wieder zur Tortur wird, hat weniger mit der Brutalität der Szenen zu tun, in dieser Hinsicht hält sich der Autor eher zurück, als mit dem Gefühl, sich auf schwankendem Boden zu bewegen. Oft weiß der Leser nicht, wo er sich befindet: in welchem der Kriege, an welcher Front? So wird er nicht nur zum Dechiffrieren gezwungen, sondern auch in eine Situation versetzt, die mit der eines Soldaten einiges gemeinsam hat.

Chronist der Kriegsverbrechen

Buchkritik zu „Bagdad Marlboro. Ein Roman für Bradley Manning“

von Sigrid Brinkmann
Deutschlandradio Kultur, 22. April 2014

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler in diesem Roman. Najem Wali gibt darin auf poetische Weise Zeugnis von den gewaltigen Umbrüchen in seinem Heimatland Irak – und würdigt nebenbei den Wikileaks-Informanten Bradley Manning.

22 Jahre nach seiner Flucht ins Exil kehrte der in Berlin lebende Najem Wali 2002 zum ersten Mal zurück in sein Geburtsland. Seither reist er Jahr für Jahr in den Irak. Weil die Menschen dort von kaum etwas anderem als den Verwüstungen des Krieges erzählten, schlüpft der 58 Jahre alte Autor aufs Neue in die Rolle des verlässlichen Chronisten kriegerischer Verbrechen und ethnischer Säuberungen.

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Tierarzt, der wie Tausende von Irakern aus Furcht vor Verfolgung den Namen wechselte und so lange von Ort zu Ort zog, bis die Ausreise in die USA gelang. „Bagdad Marlboro“ erschien 2012 in Beirut, ein Jahr vor Beginn des Prozesses gegen den Whistleblower Bradley Manning. Im amerikanischen Garnisonsstädtchen Fort Meade, wo der Fall verhandelt wurde, endet Walis Roman. Der Autor verneigt sich vor dem Mann, der Dokumente über Verbrechen der US-Streitkräfte an die Wikileaks-Plattform weiterleitete und mit diesem Akt bewies, dass man inmitten der „Hölle“ einer um sich greifenden Verrohung widerstehen und ethisches Urteilsvermögen sehr wohl bewahren kann.