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#FBM15 Countdown

Najem Wali und die Toleranz der Literatur

IM LAND DER DICHTER UND DENKERPortraitWali
Am 14. Oktober wird der irakische Schriftsteller und Journalist Najem Wali den diesjährigen Weltempfang zum Thema “Grenzen in Zeiten von Flucht und Vertreibung” mit eröffnen. Wali, der 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Kriegs selbst nach Deutschland floh, erzählt uns im Interview, wie Literatur Brücken schlagen und für mehr Verständnis zwischen den Kulturen sorgen kann.

Der Weltempfang

Willkommen im Zentrum für Politik, Literatur und Übersetzung auf der Frankfurter Buchmesse. Der Weltempfang ist traditionell der Ort für Diskussionen und Gespräche mit internationalen Autoren zu politischen Themen. In diesem Jahr ist er erstmals in Halle 3.1 verortet, Thema ist „Grenzverläufe“.

fbm: Herr Wali, wissen Sie noch, wann Sie das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse waren, und wie Sie das Erlebnis empfunden haben?

Najem Wali: Ja, das habe ich noch sehr deutlich in Erinnerung. Das war 1985, ich studierte damals Germanistik in Hamburg. Ich war mit einem chilenischen Freund dort, der sich den chilenischen Stand ansehen wollte. Ein älterer Mann am Stand sprach mich auf Spanisch an und glaubte mir einfach nicht, dass ich kein Chilene bin. Er dachte die ganze Zeit, ich wolle ihn auf den Arm nehmen. Erst als ich ihm meinen Ausweis zeigte, sah er seinen Irrtum ein – meinte dann aber, ich müsse unbedingt Spanisch lernen – und zwar chilenisches Spanisch. Dieses Erlebnis habe ich noch sehr lebendig in Erinnerung. Seitdem bin ich oft auf der Frankfurter Buchmesse gewesen. Und seit 2004 mein erstes Buch bei Hanser erschienen ist, war ich fast jedes Jahr da. Die Messe ist für mich eine wichtige Gelegenheit, Kollegen und Freunde aus der ganzen Welt zu treffen.

fbm: Wie kann Literatur dazu beitragen, dass Menschen mehr Toleranz für andere Kulturen und Denkweisen entwickeln? 

Najem Wali: Literatur kann viel schaffen – wenn man Bücher liest. Durch die Protagonisten lernen wir die anderen Kulturen kennen. Als ich jung war, bin ich immer in Gedanken in die Länder gereist, deren Bücher ich gerade las: Bei den Gedichten von Rilke reiste ich als Bohemien durch Deutschland, mit Dostojewski war ich in Russland. So wird man ein Weltenbürger. Die anderen Länder sind dann nicht mehr so fremd. Und wenn man dort ist, kann man sehr selbstbewusst die einheimischen Dichter zitieren. Wie ich vor 33 Jahren in Deutschland: Damals musste ich nach Hamm reisen, um meinen Asylantrag zu stellen, ich war ja vom irakischen Militär desertiert. Ich musste vor Ort übernachten, und so ging ich in eine Kneipe. Drinnen starrten sie mich an – halb feindselig, halb bewundernd. Ich hatte nämlich das Schild draußen nicht gesehen, dass Ausländer unerwünscht seien. Als ich ein Bier bestellte, wollte der Wirt wissen, ob ich das Schild nicht gesehen hätte. Daraufhin fragte ich in die Runde, ob sich nicht jemand mit mir über Goethe oder Schiller unterhalten wolle. Die lachten mich aus, und ich bin dann gegangen. Aber ich konnte mir das Bild von Deutschland als dem Land der Dichter und Denker bewahren, und kann das bis heute: Für mich sind solche Erlebnisse Ausnahmen, diese Leute taten mir eher leid.

fbm: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Frankfurter Buchmesse für Sie persönlich und für die weltweite Literatur insgesamt?

Najem Wali: Die Frankfurter Buchmesse ist nicht nur ein Ort für den milliardenschweren Handel, sondern öffnet auch die Augen für die Kultur des Buches. Ich zum Beispiel bin sehr klassisch im Bezug auf Bücher, ich habe ein fast erotisches Verhältnis zu ihnen: Ich will sie sehen, riechen, anfassen. Und wenn man dann über die Frankfurter Buchmesse schlendert, dann sind da ganz viele Welten. Die Welt der Bücher ist eine heile Welt, und Sorgen um die Zukunft des Buches sind unbegründet. Das ist meine Welt – im Großen die Buchmesse, im Kleinen die Buchhandlung oder das Bücherregal. Überhaupt: Bücherregale und Weinregale – mehr brauche ich nicht. Der Rest, Frauen, Liebe – das kommt von selbst.

fbm: Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr bei der Buchmesse am meisten?

Najem Wali: Am meisten freue ich mich auf mein Buch! Ich lese daraus zum Beispiel im Römer. Darauf bin ich wirklich stolz, als einer von 16 Autoren dort eingeladen zu sein. Dann freue ich mich, auf dem blauen Sofa zu Gast zu sein, bei der Open Book-Veranstaltung, beim Weltempfang und auch auf den Ständen der FAZ und der Süddeutschen. Klar, das ist anstrengend, aber das ist mein Beruf und ich freue mich darauf.