BEGIN TYPING YOUR SEARCH ABOVE AND PRESS RETURN TO SEARCH. PRESS ESC TO CANCEL

Najem Wali über die Exzesse des IS im Nordirak

Kulturvernichtung als Programm

Im Nordirak zerstören Milizionäre des IS gezielt antike Kulturschätze. Der irakische Schriftsteller Najem Wali zeichnet die Spur der Verwüstung nach, welche die Gruppierung seit 2013 nach sich zog.
In einem Video dokumentierte der IS seine Zerstörungsorgie im Museum von Mosul.
In einem Video dokumentierte der IS seine Zerstörungsorgie
im Museum von Mosul. (Bild: PD)

Das Video, welches – in gewohnt effekthascherischer Inszenierung – die mit Vorschlaghämmern und Schlagbohrern bewehrten IS-Kämpfer bei ihrem Zerstörungswerk im Antikenmuseum von Mosul zeigte, dürfte kaum jemand ohne Erschütterung angesehen haben. Der Schock vertiefte sich, als die Nachricht von der Schleifung von Nimrud durch die Medien ging; die südöstlich von Mosul am Ufer des Euphrat gelegene, im 13. Jahrhundert vor Christus gegründete Stadt war in ihrer Blütezeit die zweite Hauptstadt des assyrischen Königreichs gewesen.Von dort krochen die Planierraupen des IS einer weiteren Kulturstätte am Euphratufer entgegen, der über zweitausendjährigen Stadt Hatra , deren Ruinen inzwischen niedergewalzt sein sollen. Der Islamische Staat scheint alles in Trümmer legen zu wollen, was an die Hochkulturen in seinem nordirakischen Herrschaftsgebiet erinnert und als Symbol für diese Vergangenheit steht.

Ideologische Botschaft

Wer die Spur der Verwüstung verfolgt hat, welche die Terrormiliz seit ihrem Eintritt in den syrischen Bürgerkrieg und schon lange vor der Machtergreifung im irakischen Norden nach sich zog, der weiss auch, dass diese jüngsten Ereignisse nur eine logische Konsequenz der vom IS gepflegten Lesart islamischer Glaubensgrundsätze sind. Die Organisation manifestiert ihre Zerstörungswut, seit sie in Syrien Fuss fassen konnte; ihr Krieg gegen Kulturdenkmäler begann schon Anfang 2013, als Milizionäre der damals noch mit dem Islamischen Staat verbündeten Nusra-Front in der syrischen Stadt Ma’arrat al-Numan einer Statue des abbasidischen Dichters Abu l-‚Ala al-Ma’arri den Kopf abschlugen. Wenige Monate später zerstörte der IS ein Standbild des Abbasidenkalifen Harun al-Raschid, das einen nach ihm benannten Garten in der syrischen Provinz Raqqa zierte. Und mit der Zeit entwickelte sich der offene Krieg gegen die Kultur zu einer ideologischen Botschaft, durch die sich der Islamische Staat gegenüber anderen radikalislamistischen Bewegungen profilieren wollte.

Nach der Eroberung Mosuls am 14. Juni 2014 fiel der Terrormiliz als Erstes die Statue des Abu Tammam, eines anderen abbasidischen Dichters, zum Opfer. Das an zentraler Lage in Mosul errichtete Denkmal wurde in die Luft gesprengt und ebenso gründlich zerstört wie dasjenige, welches an den 1854 geborenen Sänger und Komponisten Uthman al-Musili erinnerte. Auch das Grab des Historikers Ibn al-Athir, der im 12. Jahrhundert den Sultan Saladin auf seinem Feldzug nach Syrien begleitet hatte, wurde verwüstet und geplündert. Wie bittere Ironie mutet an, dass die syrische Nusra-Front, die seit ihrer Trennung vom IS mit dessen Greueltaten zu wetteifern scheint, ihrerseits eine Statue von Abu Tammam in seinem syrischem Geburtsort Jasim in die Luft jagte.

Mit seiner nachgerade programmatisch gewordenen Kulturvernichtung behauptet der IS einen Weg zurück in die islamische Geschichte zu bahnen. Allerdings pickt er sich aus dem Islam nur gerade jene extremistischen, aggressiven Elemente heraus, die zur Konstituierung seiner eigenen Identität taugen – einer Identität, die einzig auf Hass beruht, dem Hass auf alles, was ihr nicht gleich ist. Wenn mit dem Argument des islamischen Bilderverbots die Vernichtung von Kulturschätzen betrieben wird, dann geht es nicht allein um die zerstörten Statuen und Stätten, Gräber und Mausoleen, sondern um ein Glaubensverständnis, das zu Verwüstung und Vernichtung anstachelt und letztlich faschistischer Natur ist. Natürlich könnte man noch weiter nach den Gründen forschen, die hinter dieser Zerstörungswut stehen – von politischen über religiöse bis zu mentalitätsbedingten Faktoren. Der Krieg gegen Bilder und Kunstwerke ist aber jedenfalls keine Erfindung der islamischen Kultur, vielmehr scheint er im Wesen der monotheistischen Religionen zu wurzeln.

Bilderstürme

Es ist nicht das erste Mal, dass wir Statuen und Denkmäler stürzen sehen: Man erinnere sich an die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion oder an die Szenen, die sich in Bagdad nach dem Einmarsch der amerikanischen Armee am 9. April 2003 abspielten. Wer wird die Bilder vomSturz der Saddam-Statue auf dem Firdaus-Platz vergessen, die dann durch die Strassen geschleift und – eine nach arabischem Verständnis tödliche Beleidigung – mit Schuhsohlen verdroschen wurde? Aber das waren Symbole für die Befreiung von einem repressiven System und den Beginn einer neuen Ära – und damit das schiere Gegenteil der Aktionen des IS, der mit seiner Vernichtung von Denkmälern, Wallfahrtsorten und historischen Kulturschätzen vielmehr seinen sektiererischen Ungeist und den Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten signalisiert. Ohne der Schönheit, dem ästhetischen und kulturellen Wert und dem Symbolgehalt dieser Kunstwerke Rechnung zu tragen, betrachten sie die Fanatiker des Islamischen Staats als «Götzen» und Teufelswerk, das schleunigst vernichtet werden muss; als Zeugnisse heidnischen Irrglaubens, für die kein Platz ist in einer Weltsicht, die nichts als Krieg, Zerstörung und faschistisches Einheitsdenken kennt.

Wenn Denkmäler von Dichtern zerstört werden, dann ist das ein deutlicher Hinweis, welchen Weg das kulturelle Leben in Zeiten des IS gehen wird; man darf sich sicher sein, dass Bücherverbote und -verbrennungen, die Schliessung von Theatern und Kinos, die Schleifung von Kirchen, die Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Leben, die Wiedereinführung der Sondersteuer für Christen, die Auslöschung anderer Religionsgemeinschaften (ein Exempel wurde bereits an den Jesiden statuiert) und die Zwangsverheiratung andersgläubiger Frauen nicht lange auf sich warten lassen werden. Mit einem Wort: Es droht eine Talibanisierung und kulturelle Verödung der arabischen Gesellschaft.

Werden wir also einen Rückfall ins Mittelalter erleben? Es ist ja schon so weit, dass Landwirtschaftsbetriebe in Raqqa, der syrischen Hochburg des IS, die Order erhielten, die Euter ihrer Kühe zu verhüllen, da deren Anblick zum Abfall vom Glauben verführen könnte. Anders als im Zeichen eines sprichwörtlich finsteren Mittelalters lässt sich die zerstörungswütige Mentalität des Islamischen Staats nicht verstehen. Aber wie es in Europa der Aufklärung bedurfte, um diese Zeit und ihre geistigen und künstlerischen Einschränkungen zu überwinden, so wäre auch in der arabischen und islamischen Welt eine ähnliche Bewegung vonnöten. Sie allein – und nicht Luftangriffe, die Errichtung von Militärbasen und rekordverdächtige Waffenexporte an die kriegführenden Parteien in der Region – könnte Organisationen wie dem Islamischen Staat das «Menschenmaterial» entziehen.

Das wohl berühmteste Werk des Dichters Abu Tammam, dessen Denkmäler in Mosul und Jasim dem Wüten der Extremisten zum Opfer fielen, ist die Kasside «Fathu Ammuria» (Die Eroberung von Amorion). Dieses Preisgedicht auf den kriegerischen Abbasiden-Kalifen al-Mu’tasim beginnt mit dem Vers «Die Botschaft des Schwertes ist wahrhaftiger als die der Bücher.» Es ist paradox, dass wir just diese Worte tagtäglich zu lesen und zu hören bekommen – als wären sie die einzige Wahrheit, und zwar nicht nur für den Mittleren Osten, sondern für die ganze Welt.

Ein frankensteinsches Ungeheuer

Wer behauptet, dass das Vorgehen des Islamischen Staats nichts mit der arabischen Geschichte und unserer Kultur zu tun habe, liegt falsch; ebenso jene meist westlichen Stimmen, die das Phänomen IS einzig aus dem Islam heraus erklären wollen. Diese Erklärungsversuche greifen zu kurz: Nicht deshalb, weil wir – hätte es in vergangenen Zeiten schon Fernsehkameras und Youtube gegeben – die Zerstörungswut von Armeen und Mobs in aller Welt bezeugt sehen könnten, sondern weil der Islamische Staat ja nicht von ungefähr zu Geld und Waffen kam. Zumindest eine Zeitlang haben andere Staaten dieses Ungeheuer grossgezogen; es ist nichts anderes als ein frankensteinsches Monster, das zunächst gemästet wurde, um das Asad-Regime zu Fall zu bringen, und das sich, wie in Mary Shelleys Roman, losgerissen hat, um sich gegen seinen Schöpfer und die ganze Welt zu wenden.

Zwischen dem mittelalterlichen Schwert des IS, das nun über unseren Nacken hängt, und der Feuerkraft hochgerüsteter westlicher Einsatzkommandos versinken der Irak und Syrien immer tiefer im Chaos. Und für jene, die ein Ende des Mordens und Zerstörens mit friedlichen Mitteln bewerkstelligen möchten, ist auf dieser Walstatt kein Platz mehr.

Der irakische Schriftsteller Najem Wali lebt seit 1980 in Deutschland. Bei Hanser erschien 2014 sein neues Buch «Bagdad . . . Marlboro. Ein Roman für Bradley Manning», für das ihm der Bruno-Kreisky-Preis zuerkannt wurde. Derzeit weilt der Autor als Stipendiat in der Villa Streuli in Winterthur. – Aus dem Arabischen von as.