Der Geheimdienst als Künstleragentur
Najem Wali erzählt in seinem neuen Roman „Soad und das Militär“, wie ein Mensch systematisch fremdbestimmt wird.
Buchbesprechung von Beat Mazenauer bei literaturkritik.de
Die Menschen in Ägypten wissen aus langjähriger Erfahrung, dass die Machthaber ihnen misstrauen und sie deshalb von Geheimdiensten überwacht werden. Davor sind auch Berühmtheiten nicht gefeit, ganz im Gegenteil, wie Najem Wali erzählt. Auf verschlungenen Wegen kreuz und quer durch die Innenbezirke Kairos führt sein Ich-Erzähler hinein in eine Geschichte, in der die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit, Öffentlichkeit und Geheimnistuerei verschwimmen.
Auf dem nächtlichen Weg zurück ins Hotel wird er von einem Fremden verfolgt. Er befürchtet schon das Schlimmste, als sich der mysteriöse Verfolger als sein alter Freund Simon Syros entpuppt. Sichtlich um Unauffälligkeit bemüht, überreicht ihm dieser ein sorgfältig verschnürtes Päckchen mit elf Heften. Darin findet der Erzähler die Geschichte von Simon und dessen Geliebter Soad aufgezeichnet, der legendären Sängerin und Schauspielerin, deren anscheinend glänzende Karriere unter einem dunklen Stern stand. Soad war noch keine neun Jahre alt, als das Militär im Sommer 1952 gegen König Faruk I. putschte und formell eine Republik ausrief, die unter Gamal Abdel Nasser militaristische Züge annahm. Das Lied Gott erhalte deine Armee, mein geliebtes Ägypten sollte zum Jubelgesang auf die neue Zeit werden – gesungen von einem „Goldkind“ aus dem Volk: Soad. Für sie aber sollte die Liedzeile „Die Armee ist es, die uns schützt“ zum Fluch werden und zu Lebzeiten „wie ein Alptraum auf ihr lasten“.Zug um Zug öffnet Najem Wali die Abgründe dieser Lebens- und Liebesgeschichte, in deren Zentrum der ägyptische Geheimdienst in Person des ruchlosen, opportunistischen „Salim Adil alias Gamal Abbas alias Offizier Scharif alias Mahmud“ wie eine Spinne die Fäden zog. Mit Verführung und Gewalt hatte er Soad als Kinderstar, später als umschwärmte Schauspielerin aufgebaut. Soad verdankte ihm alles, deshalb wurde sie erpressbar. Tatsächlich sah Scharif in ihr nicht nur eine lächelnde Botschafterin; als gefeiertes Idol musste sie auch in einem geheimen Netzwerk aus willfährigen Frauen mitwirken, mit denen arabische Politiker ausgehorcht und erpresst wurden. Der Geheimdienst war Künstleragentur und Zuhälter in einem.
„Wo in diesen Heften begann die Fiktion und wo die Wahrheit?“, fragt sich der staunende Erzähler immer wieder angesichts dessen, was er aus den Heften und in mehreren Gesprächen mit Simon erfährt, die sie in den folgenden Wochen miteinander führen. Anfänglich treffen sie sich heimlich, dann immer offener, weil Simon spürt, dass er seine Mission erfüllt und selbst nichts mehr zu verlieren hat. Najem Wali erzählt von den Treffen kapitelweise im Wechsel mit den elf Heften, in denen von einer dritten Person das Leben Soads bis in intime Details festgehalten wird. Wali lässt dabei offen, aus welchen Quellen er bei seinen Recherchen schöpfte und wer die mysteriösen Aufzeichnungen über Soad verfasste. Die undurchdringliche Sphäre der Geheimdienste gewähren dem Autor Freiheiten, die er nutzt, ohne aber zu verhehlen, dass seine Geschichte im Kern auf Tatsachen beruht. Soad war in Wirklichkeit die Sängerin und Schauspielerin Soad Hosny (1943–2001), deren Karriere nach außen hin ausgesprochen glanzvoll verlief. Wali interessiert sich in seinem Roman aber mehr für die klaustrophobischen Abgründe ihres Erfolgs und beschreibt minutiös, wie ein System funktioniert, das selbst die Kunst in die militärischen Strategien miteinbezieht. Soad erhält, was sie möchte, wenn sie gehorcht, wann sie muss. In diesem System ist sie unentrinnbar gefangen. „Mich wirst du nicht los“, wurde ihr von Offizier Scharif beschieden, „ich bin dein ewiges Schicksal. Ich habe dich gemacht, und ich werde weiterhin alles tun mit dir, was ich will, und wie ich es will!“ Als sie sich nicht mehr verbiegen wollte, kam sie 2001 unter mysteriösen Umständen in ihrem Exil zu Tode. Der Arm der Geheimdienste reichte vermutlich bis nach London.
Es bleibt Walis Verdienst, dass er Soads Schicksal schonungslos in allen grausigen Details, zugleich sachlich und ohne unnötiges Aufbauschen erzählt. Soad ist nicht nur Opfer, sie ist auch eine Diva, die an ihren Erfolgen hängt. In diesem Zwiespalt liegt die Tragik ihrer Geschichte,die in den elf Heften dokumentiert ist und von Simon aus der Optik eines Liebenden lebhaft erzählt wird. Soad und das Militärspielt im Sommer 2014. Seither hat sich in Ägypten nichts zum Guten verändert. Daraus bezieht Najem Walis Roman seine grausige Aktualität.
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