Überleben in Bagdad: Große Furcht vor den Gotteskriegern

Der irakisch-deutsche Schriftsteller Najem Wali sorgt sich um seine Schwester, die in Bagdad lebt. Für SPIEGEL ONLINE beschreibt er den Überlebenskampf eines Volkes, das schutzlos den Gotteskriegern ausgeliefert ist.
13. Juni 2014

Bei meinem letzten Besuch im Irak, im März 2014, war meine Schwester traurig und auch ein wenig sauer auf mich, weil ich, statt bei ihr zu wohnen, das in der Innenstadt liegende Hotel Bagdad auswählte. Nur mit Mühe konnte ich sie überreden, meine Lesung am al-Kischla in der Mutanabbi-Straße zu besuchen, der Buchhandelsstraße, einer der ältesten Straßen Bagdads.

Meine Schwester wohnt in der Peripherie von Bagdad in der Nähe des Internationalen Flughafens im Nordwesten der Stadt, und die Fahrt von ihrem Haus bis zum Zentrum dauert mit dem Auto zwischen einer bis zu zwei Stunden. Am Ende kam sie dann doch rechtzeitig mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen. Sie war zwar froh, mich zu sehen, aber bis zu unserem Abschied enttäuscht, weil ich sie nicht zu Hause besuchen konnte.

Der Sieg des Erzählens

Der in Deutschland lebende irakische Schriftsteller spricht mit Ruth Renée Reif über Patriotismus als Droge und seinen neuen Roman „Bagdad… Malboro. Ein Roman für Bradley Manning“
Der Standard, 31. Mai 2014

STANDARD: Herr Wali, Sie kommen gerade von einer Lesereise mit Ihrem neuen Roman aus Bagdad zurück. Was empfinden Sie, wenn Sie in Ihre Heimat reisen? Können Sie sich vorstellen, wieder dort zu leben?
Najem Wali: Nach dieser Reise würde ich gerne einige Zeit da leben. Ob ich ganz zurückkehren möchte, weiß ich nicht. So viele junge Menschen kannten meine Bücher. Und trotz der Gefahr von Autobomben in den Peripherien Bagdads kamen sie aus ihren Stadtteilen, um an meiner Lesung teilzunehmen und mich zu treffen. Das war sehr berührend.

STANDARD: Die Originalausgabe Ihres Romans erschien in Beirut. Ist sie im Irak erhältlich?
Wali: Mein Roman kann im Irak gelesen werden, auch wenn er Kritik enthält. Er wird sogar rezensiert. Die Regierungszeitungen greifen ihn natürlich an und nennen mich einen Verräter. Das sind die alten Garden. Sie haben die Uniformen von Saddam Hussein gegen die religiösen Gewänder getauscht.

STANDARD: Bereits zu Beginn nennen Sie all die Tugenden, die im Irak verschwunden sind. Haben die jahrzehntelangen Kriege das gesellschaftliche Zusammenleben zerstört?

Das andere Gesicht Bagdads

Kulturszene im Irak

Najem Wali hat sich zu einer Lesung in die irakische Hauptstadt gewagt. Ein Reisebericht.
Erschienen in der TAZ, 27. April 2015

Eine Kulturveranstaltung auf einem öffentlichen Platz im Herzen Bagdads mit Hunderten Zuhörern? Wer hätte das gedacht? Bis zum Tag meiner Ankunft zweifelte ich daran, ob das etwas Erfreuliches wird, ob sich die abenteuerlichen Strapazen einer Reise nach Bagdad für eine Literaturlesung lohnen. In den Nachrichten aus dem Irak hört man täglich von explodierenden Autobomben, sodass es nur eine Frage des Glücks, eine Art russisches Roulette zu sein scheint, ob man selber Opfer des Terrorismus wird. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, das genügt.

Allein in den letzten zwei Jahren haben al-Qaida zugerechnete Gruppen über 2.000 blutige Anschläge verübt. Mehr als 6.000 Todesopfer und 20.000 oft sehr schwer verletzte Iraker sind das Resultat. Hunderttausende Menschen sind von der anhaltenden Gewalt traumatisiert, die die Männer von al-Qaida und Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isis bzw. Isil, Daaisch) ausüben, noch verstärkt seitdem sie 2013/2014 in al-Anbar und Falludscha die Kontrolle übernahmen. Mittlerweile kontrollieren sie auch die Stadt Abu Ghraib, die nur 32 Kilometer von der Stadtgrenze Bagdads entfernt liegt.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass viele Freunde meine wiederkehrenden Besuche in Bagdad für absolut wahnwitzig halten – „Selbstmord“, wie eine Freundin kommentierte. Wahnwitzig erschien auch die Idee einer großen Lesung dort. Ich habe selber lange gezögert: Ist es vernünftig, wie ich es plante, auf einer Freiluftbühne mitten in Bagdad öffentlich aufzutreten, um aus meinem jüngsten Roman vorzulesen, während neben mir ein Bagdader Musikensemble klassische Musik darbietet? Und mehr noch: war es vernünftig und denkbar, dass neben mir eine blonde Frau sitzen sollte, die Auszüge aus der deutschen Übersetzung des selbigen Romans vorträgt? Konnte man vernünftigerweise davon ausgehen, dass dies ohne Zwischenfälle im wahrsten Sinne des Wortes „über die Bühne gehen“ würde?

Gestern noch Ruine – heute Bühne

Kriegsroman „Bagdad Marlboro“

Schuld und Chaos 

von Meike Feßmann
Der Tagesspiegel, 28.04.2014

Welche Schlacht? Welche Front? In seinem großen Kriegsroman „Bagdad Marlboro“ lässt der in Berlin lebende Iraker Najem Wali viele Details im Ungewissen und kommt so der Erfahrung von Soldaten erschreckend nah.

Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.
FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA

 

„Bagdad Marlboro“ – die Namen zweier Zigarettenmarken, irakisch die eine, amerikanisch die andere, bilden den Titel des neuen Romans von Najem Wali – einem Höllentrip durch die Kriege des Irak. Najem Wali, der 1956 in der südirakischen Hafenstadt Basra geboren wurde, zu Beginn des irakisch-iranischen Kriegs nach Deutschland floh und heute in Berlin lebt, will die Leiden der Soldaten nicht nach Nationen und Religionen gewichten. Das Credo seines Erzählgeflechts, voller Geschichten, die begonnen und abgebrochen, variiert und zu Ende gesponnen werden, ist bei aller Raffinesse denkbar schlicht: „Alle wissen, dass es in jedem Krieg um nichts anderes geht als um den Tod. (…) Es ist die einzige Wahrheit, die für alle Kriege gilt, die aber niemand offen ausspricht.“

In einer Sprache zwischen Poesie, Fabulierlust, Faktenwissen und nüchterner Proklamation einfacher, aber oft verborgener Wahrheiten schickt Wali den Leser auf eine Tour de Force. Dass sie immer wieder zur Tortur wird, hat weniger mit der Brutalität der Szenen zu tun, in dieser Hinsicht hält sich der Autor eher zurück, als mit dem Gefühl, sich auf schwankendem Boden zu bewegen. Oft weiß der Leser nicht, wo er sich befindet: in welchem der Kriege, an welcher Front? So wird er nicht nur zum Dechiffrieren gezwungen, sondern auch in eine Situation versetzt, die mit der eines Soldaten einiges gemeinsam hat.

Chronist der Kriegsverbrechen

Buchkritik zu „Bagdad Marlboro. Ein Roman für Bradley Manning“

von Sigrid Brinkmann
Deutschlandradio Kultur, 22. April 2014

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler in diesem Roman. Najem Wali gibt darin auf poetische Weise Zeugnis von den gewaltigen Umbrüchen in seinem Heimatland Irak – und würdigt nebenbei den Wikileaks-Informanten Bradley Manning.

22 Jahre nach seiner Flucht ins Exil kehrte der in Berlin lebende Najem Wali 2002 zum ersten Mal zurück in sein Geburtsland. Seither reist er Jahr für Jahr in den Irak. Weil die Menschen dort von kaum etwas anderem als den Verwüstungen des Krieges erzählten, schlüpft der 58 Jahre alte Autor aufs Neue in die Rolle des verlässlichen Chronisten kriegerischer Verbrechen und ethnischer Säuberungen.

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Tierarzt, der wie Tausende von Irakern aus Furcht vor Verfolgung den Namen wechselte und so lange von Ort zu Ort zog, bis die Ausreise in die USA gelang. „Bagdad Marlboro“ erschien 2012 in Beirut, ein Jahr vor Beginn des Prozesses gegen den Whistleblower Bradley Manning. Im amerikanischen Garnisonsstädtchen Fort Meade, wo der Fall verhandelt wurde, endet Walis Roman. Der Autor verneigt sich vor dem Mann, der Dokumente über Verbrechen der US-Streitkräfte an die Wikileaks-Plattform weiterleitete und mit diesem Akt bewies, dass man inmitten der „Hölle“ einer um sich greifenden Verrohung widerstehen und ethisches Urteilsvermögen sehr wohl bewahren kann. 

„Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

Ex-Böckler-Stipendiat Najem Wali über seine Erfahrungen in Israel, den Boykott der arabischen Presse und die Rolle der Gewerkschaften im Friedensprozess 

Das Gespräch führte FRANK ZIRPINS, Journalist in Köln.

Herr Wali, wie sind Sie als Schriftsteller mit irakischen Wurzeln auf die Idee gekommen, in das Land zu reisen, das in der ganzen arabisch-islamischen Welt das Böse verkörpert – nach Israel?
Ich war schon als Kind neugierig, was das für ein Land ist, das man als Feind bezeichnet. Nachdem ich den deutschen Pass bekommen hatte, habe ich bei jeder Gelegenheit versucht, dorthin zu fahren. Vor rund 15 Jahren gründete sich bei der Hans-Böckler-Stiftung eine Gruppe, die Austauschbesuche mit Israel organisierte. Aber die Teilnehmerzahl war begrenzt. Im Oktober 2006 lud mich Amatzia Baram, Historiker an der Universität Haifa, zur Konferenz „Quo vadis, Irak?“ ein. Da habe ich mir gedacht, jetzt kommt der Moment. Ich habe meinen Verlag angerufen und denen erzählt: „Ich habe eine Einladung für eine Woche, aber das ist zu wenig, ich werde versuchen, auf eigene Kosten sechs Wochen durch das Land zu reisen. Es ist ein Abenteuer, aber vielleicht kommt ein Buch dabei heraus.“ Mein Verleger hat gesagt: „Bist du verrückt?“ „Ja“, habe ich gesagt, und er sagte: „Mach das.“

Wie hat denn Ihr Umfeld reagiert, Ihre Familie, die im Irak lebt?

10 Jahre nach dem Irakkrieg

Ein komplett gescheiterter Staat
Das Land ist von einem funktionierenden Rechtsstaat weit entfernt. Zehn Jahre nach dem Irakkrieg zeigt sich eine niederschmetternde Bilanz.

Ein Bericht von Najem Wali
in: Die TAZ, 19. März 2013

Vor zehn Jahren, am 20. März 2003, drangen US-amerikanische Marines und die Landstreitkräfte der britischen-imperialen Krone, in deren Territorien die Sonne seit einem halben Jahrhundert nicht mehr aufgegangen ist, in irakisches Gebiet ein – unter dem Vorwand, die Fackel der Demokratie ins Land tragen zu wollen, und mit dem starken Argument, nach Massenvernichtungswaffen zu suchen.

Aber, statt das eine ins Werk zu setzen und die anderen zu finden, haben sie Angst und Zerfall über das Land gebracht. Wer hoffte, dass die USA die von ihnen propagierte Demokratisierung und den Wiederaufbau unterstützen würden, und sei es aufgrund ihrer eigenen Interessen im Geiste des sogenannten Kriegs gegen den Terror, wie sie es schon im Krieg gegen den Kommunismus getan haben, als sie den Aufbau Japans und Deutschlands unterstützten –, wer das annahm, wurde in seinem Glauben enttäuscht.

Wer heute im Irak lebt oder wer sich in den Straßen Bagdads umschaut, braucht weder Theoretiker für Demokratie noch Spezialist in Wirtschaft oder Politik zu sein, um sich ein anschauliches Bild von dem Chaos und dem Verfall zu machen, die allerorts um sich greifen. Getoppt wird dieser Eindruck noch von Straßen und Brücken voll tiefer Rillen im Asphalt, Schulen mit gähnenden Löchern anstelle von Türen, Krankenhäusern in katastrophal unhygienischem Zustand und völlig versumpften Spielplätzen.

Das ganze Land scheint dem Verfall preisgegeben zu sein. Kein Müllauto oder Müllmann kommt je vorbei, denn die Stadt- und Gemeinderäte sind, ganz nach dem Vorbild ihrer Parlamentarier und Minister, viel zu sehr mit dem Plündern befasst. Sie haben gar keine Zeit für den Aufbau. Ein im Irak verbreitetes Bonmot fordert mittlerweile die Einrichtung eines eigenen „Ministeriums für Bestechliche und Fälscher“.

„Gegenwart ist Routine, die vor unseren Augen abläuft.“

von Wolfgang Kühn – 31. Jan. 2012
in der nö. Internetzeitung magzin.at

Der 1980 nach Deutschland geflohene irakische Schriftsteller Najem Wali ist neuer Ateliergast des Literaturhaus NÖ in Krems. Sein Roman “Reise nach Tell al-Lahm” wurde trotz Verbots zu einem Bestseller der arabischen Jugend – mit dem brisanten Thema Sex und junge Frauen im Irak. Wolfgang Kühn sprach mit ihm über seine Bücher und sein Heimatland.

Bagdad - Bild

Der 1956 im südirakischen Basra geborene Schriftsteller Najem Wali, der 1980 aus dem Irak nach Deutschland floh, ist zur Zeit Ateliergast des Literaturhaus NÖ (UNLNÖ) in Krems. Für ihn ein willkommener Ort, um Zeit und Ruhe zu finden, ideal, um an seinem neuen Roman zu feilen, der im Frühjahr 2013 bei Hanser unter dem Titel „Bagdad Marlboro” auf Deutsch erscheinen soll.

Krems, diese Liebe zum Wein
Auch die Umgebung von Krems hat es ihm angetan. Aus seinem Fenster blickend haben ihn die Lichter von Stift Göttweig neugierig gemacht und auf den Berg gelockt, auch Stift Melk hat ihn fasziniert. Najem Wali hat herausgefunden, dass ein alter marokkanischer „Literaturgenosse“ namens Muhammad al-Idrisi (1099 – 1165), seines Zeichens Verfasser eines der wenigen interessanten Reisetagebücher der Welt, Krems interessanter fand als Wien. Vor allem die Menschen und die Architektur haben ihn beeindruckt, dem kann sich Najem Wali nur anschließen, Architektur und die Menschen, die aus ihrer Liebe zum Wein kein Hehl machen.

Die englischen Besatzer von Basra – der Roman „Engel des Südens”
In seinen Büchern geht es verständlicherweise um seine Ver­gan­gen­heit, seine eigene Geschichte. Kann er sich vorstellen, einmal ein Buch völlig los­gelöst von diesem „persönlichen“ Kontext zu schreiben? 

„Ich ein Schläfer? Zum Lachen“

Najem Wali über die veränderte Welt nach 9/11, wahre Freunde, sein Rendezvous mit einer Autobombe und den arabischen Frühling.

Zehn Jahre nach 9/11. Das Interview führte Andreas Fanizadeh.
Die Tageszeitung, 11. September 2011

Eine kleine Wohnung in Berlin-Kreuzberg, Najem Walis Schreibstube. Ein gerahmtes Foto an der Wand: Wali, der irakische Exilschriftsteller im Gespräch mit Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Ein anderes Bild zeigt ihn zusammen mit Günter Grass. Wali lebt seit seiner Flucht aus dem Irak 1980 in Hamburg, seit 2004 in Berlin. Er ist Hanser-Autor, schreibt auf Arabisch, spricht fließend Deutsch.

taz: Herr Wali, wenn Sie zurückschauen, was dachten Sie damals, als Sie die Nachricht vom Angriff auf die Twin Towers und das Pentagon im September 2001 erreichten?

Najem Wali: Also zunächst konnte ich das kaum glauben. Ich lebte damals in Hamburg. Ich ging durch die Eppendorfer Landstraße und wollte etwas kaufen. Zwei Leute unterhielten sich in einem Laden. Einer fragte den anderen: Hast du gesehen, wie die Flugzeuge in die Twin Towers hineingestürzt sind? Das waren zwei Deutsche. Die taten ganz cool.

Was taten Sie dann?

A visit to the house of dreams

Author Najem Wali revisits the magnificent house of Iraq’s first Minister of Finance, Sassoon Eskell, on the banks of the Tigris.

signandsight.com 21/03/2011
„House of Dreams“ that is the only truly fitting name for this building, I find. I can remember that every time I walked past it back when the country was still called the „Republic of Iraq“ I would think of the master craftsman who once built it. That was at the beginning of the 20th century, in the times of the great craftsmen (before architects and engineers took over construction) whose intuitive artistic skills were guided more by fantasy than reality. And even today, despite all the changes that have been made, anyone who looks at the house, standing there defiantly, can’t but be amazed by the skill of Master Kathim Ibn Arif at having created such a magnificent and elegant building.

Everything about it is beautiful: the curves of the arches, the doors, the balustrades on the roof, the wooden-framed windows, the sweeping balcony high above the Tigris. It’s almost as if each stone of the house, set back slightly from historical Al Rashid Street, had been gently stroked and lovingly formed by the master’s hand. As if that hand had never realised that the owner of this building, which could have comfortably housed a large family, would remain unmarried his whole life long. Yes, it really seems as if that Baghdad master builder knew with an instinct unfettered by university study that this house would have to be large enough to accommodate all the dreams of its future occupant. That it would have to have as many rooms and levels as the dreams of the man who would sleep and wake up in it. As if the master had known that this house on the banks of the Tigris in the centre of Baghdad would stand the test of time – an enduring testimony not just to the inability of a whole series of governments to strike it from collective historical memory, but above all to the dreams of masters long gone and masters yet to come.

I couldn’t help thinking of all this when a few weeks ago, on a gloriously joyous Wednesday (which only became joyous after I narrowly escaped a car bomb in front of the National Theatre), I sat on the balcony of that house – together with Iraqi filmmakers, directors, actors and camera people, some of them my age, others still young.
It was one of the rare happy gatherings of my most recent visit to Baghdad. I could count the times I’ve had such wonderfully inspiring moments on the fingers of one hand. That day I understood better than ever before that this architectural work by one of Iraq’s renowned masters, into which he had poured all his fantasy and creative skills, could only be one thing: a dream factory.

The house first caught my attention when I came to study in Baghdad in the early 1970s. Particularly for those of us who came from other cities, this magnificent building on the banks of the Tigris was very striking. To get into it or get a good look at it you had to approach from the side facing the river, which offered us the happy opportunity of taking secret swims in the river or sitting on the river bank. I can’t remember any of us ever using the main entrance on Al Rashid Street. But I do remember that the name of the original owner, if mentioned at all, could only be whispered.

Remember, I’m talking about 1973 and the years after here. Just over three years before, the Baath regime had executed Jewish and Shiite citizens under the pretext that they were spying for the Israelis. The mere mention of a Jewish name back then was enough to raise suspicion, despite the fact that the original owner of the house, who spent the last years of his life here, had died on August 31, 1932 in Paris – 16 years before the founding of the State of Israel, and therefore couldn’t have had anything to do with such accusations. Nor did it make the slightest difference that this man was Iraqi to the core.

The grand old lady Gertrude Bell once wrote of him that he was „by far the ablest man in the Council. A little rigid, he takes the point of view of the constitutional lawyer and doesn’t make quite enough allowance for the primitive conditions of the Iraq, but he is genuine and disinterested to the core. He has not only real ability but also wide experience.“ He laid a solid foundation for the Iraqi economy by creating a financial system with clear, fixed rules. And as the records of the negotiations with the British on how the revenues from crude oil were to be distributed make clear, it was he who pointed out to the chief negotiator that the gold standard should be applied for calculating the oil revenues, to ensure that the shares of the revenues remained stable.

Five times he was minister of finance, as if all the different governments agreed on his competence and impartiality. After his death not a single secret account was discovered, either in his name or in that of any relative.
And not only that: he was so thoroughly Iraqi that to this day he is one of the very few politicians of this country at the mention of whose name the words „God bless his memory“ always followed, as I heard my grandfather say countless times. Who could forget Sir Sassoon Eskell, the first Iraqi minister of finance (appointed on 27 October, 1920, with the government of Abd Al-Rahman Al-Gillani); Sassoon Effendi, as his Iraqi contemporaries (in particular the Baghdadi) used to call him, whose name could never be separated from the house despite the attempts of all the governments that followed?

What particularly caught my attention about this two-story building back then were the stories that had sprung up about Sassoon Effendi’s vast private library. It was said that the books were spread out in almost every room of the house; that is was the largest private library in Iraq, with works in many languages: Arabic, Turkish, English, French, Italian, Spanish and German – all the languages Eskell could speak fluently.

Unfortunately, most of the books were lost when the library was confiscated by the Baath regime in 1970 in the course of its executions of Jews and Baath opponents. They said that the works had been integrated into the library of the Museum of Baghdad, but during all my many visits there I personally have never been able to find them. I couldn’t help thinking of all these things on that wonderful Wednesday – and also of how the house had remained locked up for years. No doubt the Baath regime didn’t know what to do with it at first. Perhaps it had also hoped that people wouldeventually forget the name of its owner.

It was only in the mid-1980s that the house was turned into a theatre venue. Here is where the play „The Melody of the Rocking Chair“ was first performed which, with its epoch-making character, was to entrench itself deep in the consciousness of Iraqi theatre-goers. It stayed on the programme for six months.

The protagonists of the play, two up-and-coming actresses who would later become quite famous, Inaam al-Battat (in Germany since 1996) and Iqbal Naim, wandered all over the house, up and down its staircases, across the balcony and past the balustrades. Inaam al-Battat played an aged, house-bound singer who refuses to give up while her assistant tries to console and soothe her.

The two women moved through the house, the audience trailing behind them, some of them carrying recorders to capture Inaam’s singing. Tirelessly she wailed for the man of her dreams: „He must come“, even though in this destroyed country she waited in vain. Everyone waited with her for this Iraqi Godot, as if Inaam’s voice could revive the old dreams lying dormant in the house, as if she could breathe new life into them with her movements. Everyone was caught in her dreams, the two women and the audience. But isn’t that so very much in keeping with the character of the house as a dream factory?

And today? For years the house was known as the „House of the Theatre Club“, a venue for experimental theatre. After April 9, 2003, the house became a shelter for soldiers of the army units charged with guarding public buildings and banks in Al Rashid Street. But the artists didn’t give up, and in 2010 young filmmakers were able to persuade the Ministry of Culture, to which the house officially belongs, to allow them to turn at least part of the house „the prettiest side which faces onto the Tigris“ into a cinematography centre. The side that faces the street is still used as a barracks.

So on that joyful Wednesday the young people there were in high spirits and busy moving their filmmaking equipment into the house with their usual fervour while builders, the master craftsmen of today as it were, began with the renovation work. Meanwhile Oday Rasheed (director of the film „Underexposure„, which was screened in Germany in 2006) and Mohamed Al-Daradji (director of the film „Son of Babylon“, which was screened at the 2010 Berlinale film festival) confided to me that they dreamed of turning the whole house into a cinematography centre. I was aware, however, that the army has a very similar dream: namely to turn the whole building into a barracks (in particular because the nearby Liberation Square now functions as a starting point for the recent demonstrations and protests of young people against the government). So the army stands against the dreams of a group of young people whose only weapons are their cameras.

During the final years of his life Sassoon Effendi sought to crown his life’s work with the introduction of a national Iraqi currency, to which end he drew up a carefully thought-out plan. And indeed in spring 1932, a few months before he died, his efforts, supported by another Jew, Ibrahim el-Kabir, the general director of the audit office, bore fruit: the dinar was brought into circulation, replacing the Indian rupee and the Turkish lira which had been in use up to that point. This, too, was one of the great dreams that had its beginnings in this house.

Anyone who sits down with these young people and listens to their conversations as I did on that sunny day, will hear how determined they are to revive Iraqs film scene, how they dream of helping Iraqi cinema to international acclaim, and will realise that with their enthusiasm these people are treading in the footsteps of the great master builder himself, and that the choice of this house of all houses was no mere coincidence. Wasn’t it inevitable that such an endeavour should begin here, in the spirit of this house of dreams?

This article was originally published in the Frankfurter Rundschau on 11 March 2011
Translation from the German: Alison Waldie

Najem Wali was born in Basra in 1956 and fled Saddam Hussein’s regime to live in Germany in 1980. Today he lives in Berlin. His books include „Joseph’s Picture“ MacAdam/Cage (2010) and „Journey Into the Heart of the Enemy“ MacAdam/Cage 2009.

Die Angst vor der Einsamkeit

Was Menschen tun, wenn sie nichts zu tun haben. 

Najem Wali über die „freie Zeit“ eines Schriftstellers
Erschienen in KULTURAUSTAUSCH, Zeitschrift für internationale Perspektiven,
Ausgabe IV/2009

Wer viel gearbeitet hat, fühlt sich danach oft leer. Warum es für Schriftsteller schwierig ist, ein Buch zu beenden

Hat ein Schriftsteller freie Zeit wie andere Leute? Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich das verneine. Und ich beziehe mich dabei nicht nur auf die Phase, in der ein Schriftsteller ein Werk schafft. Alle, die schreiben, wissen, dass das Buch, an dem sie gerade arbeiten, sie Tag und Nacht verfolgt, sie gar in ihren Träumen heimsucht. Dessen sind sich selbst diejenigen bewusst, die täglich ein selbst vorgegebenes Pensum Schreibarbeit erledigen. Manche mögen zwar Strategien entwickelt haben, um dies zu vermeiden. Doch auch sie stellen fest, dass ihre Romanfiguren sie nach Ende der Arbeitszeit nicht loslassen. Dies kann man den Tagebuchaufzeichnungen etlicher Schriftsteller posthum entnehmen. Ihre Schöpfer beschweren sich keinesfalls darüber, sondern nehmen es gerne in Kauf, mehr noch: Sie wünschen sich gar nicht, ihre Arbeit zu beenden. Wer denkt, das läge daran, dass Schriftsteller nun mal gerne schreiben, irrt. Die Ursachen liegen viel tiefer. 

„Der Irak ist ein Irrenhaus.“

Der Schriftsteller Najem Wali spricht im Interview über fünf Jahre Krieg, das Exil und die Sprengkraft der Fantasie. Das Gespräch führte Katja Reimann.
Der Tagesspiegel, 19.03.2008

Herr Wali, heute jährt sich zum fünften Mal die Invasion der Amerikaner im Irak. Wie beurteilen Sie die momentane politische Situation?
Es ist eine katastrophale Lage. Die Menschen im Irak sind resigniert. Vor dem Einschreiten der Amerikaner hatten wir eine Diktatur, jetzt haben wir Chaos.

Sie leben seit 1980 in Deutschland im Exil. Wann waren Sie das letzte Mal im Irak?
2004. Theoretisch darf ich jetzt natürlich wieder zurück. Aber ich brauche Ruhe, um zu schreiben, und auch Distanz zum Land. Außerdem: Wenn man einmal ins Exil geht, dann für immer. Das Exil ist eine Einbahnstraße. Man selbst ändert sich mit den Jahren, die Menschen im Heimatland ändern sich auch. Wenn ein Haus zerstört wird, ist es eine Ruine. Wenn die Seele eines Menschen zerstört wird, ist das auch wie eine Ruine. Es gibt einen Körper, der durch die Straßen läuft, aber die Blicke sind leer.

Ihr Roman „Jussifs Gesichter“ gibt einen Einblick in das Leben im Kriegsland Irak. Gibt es dort noch so etwas wie Alltag?
Ja. Die Sirenen heulen, Bomben fallen, aber die Menschen gehen ihrem normalen Leben nach. Der Alltag hat sich angepasst. Viele sitzen in ihren Häusern, gehen sehr früh morgens in die Geschäfte zum Einkaufen und dann zurück nach Hause. Einerseits haben die Menschen Angst: In jeder Ecke kann der Tod lauern, plötzlich eine Bombe hochgehen. Andererseits macht so ein eingeschränktes Leben auch kreativ: Früher ist man abends ins Theater gegangen, jetzt gehen die Menschen vormittags. Stellen Sie sich vor: ins Theater um elf Uhr morgens.