Kriegsroman „Bagdad Marlboro“

Schuld und Chaos 

von Meike Feßmann
Der Tagesspiegel, 28.04.2014

Welche Schlacht? Welche Front? In seinem großen Kriegsroman „Bagdad Marlboro“ lässt der in Berlin lebende Iraker Najem Wali viele Details im Ungewissen und kommt so der Erfahrung von Soldaten erschreckend nah.

Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.Sturz des Diktators. Im April 2003 eroberten die US-Truppen Bagdad.
FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA

 

„Bagdad Marlboro“ – die Namen zweier Zigarettenmarken, irakisch die eine, amerikanisch die andere, bilden den Titel des neuen Romans von Najem Wali – einem Höllentrip durch die Kriege des Irak. Najem Wali, der 1956 in der südirakischen Hafenstadt Basra geboren wurde, zu Beginn des irakisch-iranischen Kriegs nach Deutschland floh und heute in Berlin lebt, will die Leiden der Soldaten nicht nach Nationen und Religionen gewichten. Das Credo seines Erzählgeflechts, voller Geschichten, die begonnen und abgebrochen, variiert und zu Ende gesponnen werden, ist bei aller Raffinesse denkbar schlicht: „Alle wissen, dass es in jedem Krieg um nichts anderes geht als um den Tod. (…) Es ist die einzige Wahrheit, die für alle Kriege gilt, die aber niemand offen ausspricht.“

In einer Sprache zwischen Poesie, Fabulierlust, Faktenwissen und nüchterner Proklamation einfacher, aber oft verborgener Wahrheiten schickt Wali den Leser auf eine Tour de Force. Dass sie immer wieder zur Tortur wird, hat weniger mit der Brutalität der Szenen zu tun, in dieser Hinsicht hält sich der Autor eher zurück, als mit dem Gefühl, sich auf schwankendem Boden zu bewegen. Oft weiß der Leser nicht, wo er sich befindet: in welchem der Kriege, an welcher Front? So wird er nicht nur zum Dechiffrieren gezwungen, sondern auch in eine Situation versetzt, die mit der eines Soldaten einiges gemeinsam hat.

Chronist der Kriegsverbrechen

Buchkritik zu „Bagdad Marlboro. Ein Roman für Bradley Manning“

von Sigrid Brinkmann
Deutschlandradio Kultur, 22. April 2014

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler in diesem Roman. Najem Wali gibt darin auf poetische Weise Zeugnis von den gewaltigen Umbrüchen in seinem Heimatland Irak – und würdigt nebenbei den Wikileaks-Informanten Bradley Manning.

22 Jahre nach seiner Flucht ins Exil kehrte der in Berlin lebende Najem Wali 2002 zum ersten Mal zurück in sein Geburtsland. Seither reist er Jahr für Jahr in den Irak. Weil die Menschen dort von kaum etwas anderem als den Verwüstungen des Krieges erzählten, schlüpft der 58 Jahre alte Autor aufs Neue in die Rolle des verlässlichen Chronisten kriegerischer Verbrechen und ethnischer Säuberungen.

„Die Welt ist ein Saustall, der Irak ihr Zentrum“, befindet der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Tierarzt, der wie Tausende von Irakern aus Furcht vor Verfolgung den Namen wechselte und so lange von Ort zu Ort zog, bis die Ausreise in die USA gelang. „Bagdad Marlboro“ erschien 2012 in Beirut, ein Jahr vor Beginn des Prozesses gegen den Whistleblower Bradley Manning. Im amerikanischen Garnisonsstädtchen Fort Meade, wo der Fall verhandelt wurde, endet Walis Roman. Der Autor verneigt sich vor dem Mann, der Dokumente über Verbrechen der US-Streitkräfte an die Wikileaks-Plattform weiterleitete und mit diesem Akt bewies, dass man inmitten der „Hölle“ einer um sich greifenden Verrohung widerstehen und ethisches Urteilsvermögen sehr wohl bewahren kann.