08.03.2015 | 18:33 | von Anne-Catherine Simon (Die Presse)
Die Presse: Sie kommen aus einer kleinen irakischen Stadt, haben in Bagdad deutsche Literatur studiert und leben seit Langem in Deutschland. Was hat Sie im Irak zur deutschen Literatur gebracht?
Najem Wali: Eine Geschichte war wichtig für mich. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war und eine Leseratte, habe ich in der kleinen Buchhandlung unserer Stadt ein Büchlein gesehen und es durchgeblättert. Es waren Gedichte, und sie haben mir so gefallen, dass ich mein ganzes weniges Taschengeld dafür ausgegeben habe. Zu Hause las ich von vorn bis hinten, von hinten nach vorn, und später erst habe ich geschaut, wie der Autor heißt – es waren übersetzte Gedichte von Rainer Maria Rilke. So kam meine Beziehung zur deutschen Literatur! Ich dachte: Diese Gedichte sind so schön, die möchte ich einmal im Original lesen.
Die Presse: Dann war Rilke lebensentscheidend, oder wären Sie sonst in Deutschland gelandet?
NW: Das Studium war trotzdem Zufall. Als ich zur Uni in Bagdad gekommen bin und Schauspiel studieren wollte, hat die Regierung entschieden, dass dieses Studium nur für Mitglieder der Ba’ath-Partei zugelassen ist. So kam ich zur deutschen Literatur. Damit habe ich wirklich unwissentlich mein Leben gerettet, das ist wie im griechischen Drama. Ödipus wollte nie seinen Vater umbringen und mit der Mutter schlafen, er war an sich ein netter Kerl… Ich konnte im Iran/Irak-Krieg nach Deutschland flüchten. Hätte ich Schauspiel studiert, wäre ich vielleicht tot.
Die Presse „Bagdad Marlboro“ strotzt von Kriegsdetails, als wären Sie mittendrin gewesen…
NW: Ich war ja von 1978 bis 1980 in der Armee. Dort traf ich einfache Soldaten, zu denen ich mit einem normalen Intellektuellenleben nie Zugang gehabt hätte. Auch Joseph Roth hätte den Roman „Radetzkymarsch“ nie schreiben können, wenn er nicht in der heutigen Ukraine an der Front gekämpft hätte. Wenn ich die Namen der ostukrainischen Orte in den Nachrichten höre, lache ich, wenn es heißt: „Das ist ukrainisch, das ist russisch!“ Ich kenne sie aus dem Roman, bei Roth gehörte das alles zu Österreich-Ungarn.
Die Presse: Haben Kriegs- bzw. Antikriegsromane Sie beim Schreiben inspiriert?
NW: Am wichtigsten ist mir Erich Maria Remarque, „Im Westen nichts Neues“, aber noch mehr der Roman „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“. Der junge Mann darin entschließt sich, das geliebte Mädchen zu heiraten. Alle sagen: „Du bist verrückt, du musst wieder an die Front!“… Aber gerade das ist Protest, gehört zu einer Ästhetik des Widerstands. Deshalb habe ich als Romanmotto ein Zitat von Italo Calvino gewählt. Er sah das Leben überhaupt als Hölle; das Einzige, was man tun könne, sei „zu erkennen, wer und was inmitten dieser Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum geben“.
Die Presse: Ihre Romanfiguren treibt das Schuldgefühl – wie ist das mit Ihnen?
NW: Auch ich fühle mich schuldig. Es gibt die Kluft zwischen denen, die im Land geblieben, und denen, die gegangen sind. Die einen sagen: „Ihr seid weggelaufen“, die anderen: „Ihr seid Verräter.“ Es ist noch schwerer geworden, außerhalb des Landes mit dem Schuldgefühl zu leben, weil die Medien einen dauernd mit Nachrichten konfrontieren. Mein Schreiben ist ein Weg, damit umzugehen.
Die Presse: Sie sprechen so gut Deutsch, haben Sie jemals überlegt, auf Deutsch Romane zu schreiben statt auf Arabisch?
NW: Nein, Sie müssen denken, ich habe, als ich meine Heimat verloren habe, mein Land, seinen Geschmack, seine Kultur verloren. Nur die Sprache ist mir geblieben. Die deutsche Sprache wirkt aber auf mein Arabisch ein. So haben Künstler immer schon vom Exil aus die Heimatkultur beeinflusst, im Grunde ist der Großteil der bedeutenden künstlerischen Leistungen ja im Exil entstanden und durch das Exil beeinflusst, von der „Divina Commedia“ bis zu „Guernica“ oder „Ulysses“. Auch Kreisky, der Österreich so viel Fortschritt brachte, kam aus dem Exil.
Die Presse: In Ihrem Roman liebt ein Dichter todunglücklich – derlei romantische Liebessehnsucht ist in der modernen westlichen Literatur praktisch ausgestorben…
NW: Da haben Sie recht. Im Irak ist es für junge Männer und junge Frauen ohnehin schwerer zusammenzukommen, als im Westen. Dazu kommt der Krieg, der die Trennungserfahrung zum Normalfall macht. Im Westen ist es umgekehrt, jeder kann mit jedem zusammensein – deswegen bemühen sich in den Romanen auch alle so um Trennung…
Die Presse: Ihr Erzähler will in dieser Gegenwart keine Kinder. Wie ist das mit Ihnen?
NW: Es gibt jetzt viele Menschen im Irak, die sagen: „Wozu sollen wir Kinder bekommen? Sie werden ohnehin Kanonenfutter.“ Ich kenne auch viele Autoren im Exil, die keine Kinder haben wollen, und auch ich gehöre dazu.
Najem Wali wird auch beim Osterfestival „Imago Dei“ in Krems zu hören sein: am Freitag, 20. März, , 18.30 Uhr im Klangraum Krems Minoritenkirche. Nach der Lesung findet eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Die Erfindung der Islamischen Welt“ mit Najem Wali, dem Leiter des Ägyptisch-Deutschen Kulturzentrums in Kairo Tarik Bary, dem Iranisten Bert Fragner und der Journalistin Gudrun Harrer statt.