Es ist viel die Rede von Fortschritten im Nahost-Friedensprozess, doch gerade unter arabischen Intellektuellen wird weiter gegen Israel gehetzt. Und gegen alle, die für eine Normalisierung eintreten.
Essay von Najem Wali, F.A.Z am 23. Januar 2021
Ende dieses Monats ist es zehn Jahre her, dass arabische Jugendliche auf die Straßen gingen. Seitdem hat sich vieles in der Region verändert, Regime sind gestürzt, Wahlen haben stattgefunden. Nur eines hat sich keinen Millimeter bewegt: die sture Antinormalisierungshaltung gegenüber Israel, die bei der Mehrheit der arabischen Intellektuellen Tradition und insbesondere bei der älteren, aber in der Kulturszene dominanten Generation ihren festen Platz hat.
Fangen wir mit einem berühmten Fall an: Ende 2010, nur wenige Wochen vor dem Kairoer Frühling, gab das Israelisch-palästinensische Zentrum für Forschung und Information (IPCRI) bekannt, dass es seinen hebräischen Lesern das seltene Privileg bieten wolle, einen damals vieldiskutierten ägyptischen Roman zu lesen. Als dessen Autor sich weigerte, das Buch ins Hebräische übersetzen und in Israel veröffentlichen zu lassen, übernahm ein Freiwilliger die Übersetzung, und das IPCRI wollte sie kostenlos anbieten, um das kulturelle Bewusstsein und das wechselseitige Verständnis in der Region zu erweitern. Der Autor war aufgrund seiner Haltung zu Israel darüber zutiefst frustriert. Er beschuldigte das IPCRI und den Übersetzer der Piraterie und des Diebstahls und reichte eine Beschwerde bei der International Publishers Association ein. Sein gutes Recht. Aber was bedeutet seine gegen jede Normalisierung des arabisch-israelischen Verhältnisses gerichtete Handlung?




Najem Wali spricht am 21. November 2019 in Berlin mit dem Journalisten Michel Abdollahi über seine Biografie, sein Werk und die Bedeutung kultureller Vielfalt für unsere Gesellschaft. In seinen Romanen und Erzählungen entwirft Wali ein vielschichtiges Bild seiner Heimat. In seinen journalistischen Beiträgen ist er kritischer Kommentator des gesellschaftspolitischen Geschehens in Deutschland und der arabischen Welt. KULTURGESCHICHTEN ist eine Veranstaltungsreihe der Konrad Adenauer Stiftung. Weitere Informationen dazu finden Sie
Mein Roman 







„(…) Als ich anfing, den Roman „Saras Stunde“ zu schreiben, begannen Fiktion und Fakten sich zu vermischen. Meine Sara – die Frau, deren Geschichte ich schrieb – ist teilweise realistisch gestaltet, aber sie enthält auch viel Fiktion, weil diese Sara ein Gesamtbild aller Frauen, die ich getroffen und deren Geschichten ich gehört habe, verkörpern sollte: Sie sind Frauen mit einem Körper aus Glas im Kampf gegen Stein in Saudi-Arabien, dem Königreich der Finsternis. In einem solchen Land, in dem die Wirklichkeit selbst grotesk und surreal ist, in dem eine Behörde tatsächlich den Namen „Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und für die Verhinderung von Lastern“ trägt, wo es Frauen nicht erlaubt ist, ihr Gesicht zu zeigen, Auto zu fahren, ein eigenes Konto einzurichten, über eine Kreditkarte zu verfügen und ohne Begleitung eines männlichen Verwandten (mindestens) zweiten Grades ins Ausland zu reisen oder einen Mann aus einfachen Verhältnissen zu lieben, zu heiraten, in einem derartigen Land kann Realismus nicht die Sprache der Literatur sein. Es muss in phantastischer Form erzählt werden. Nicht nur über diese eine junge Frau namens Sara, die den Aufstand wagt, sondern auch über andere Frauen, die so sind wie sie. Die Geschichte wird zu einer Art Märchen, das mit einem Mord als einzig denkbare Lösung beginnt und mit einer Intifada von Frauen endet.
